bull_08_03_Ozean
Credit Suisse bulletin, 2008/03
Credit Suisse bulletin, 2008/03
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<strong>Ozean</strong> Gezeiten<br />
07<br />
Fotos Seite 4 und 6: Michael Marten (www.michaelmarten.com)<br />
«Mein Tag müsste mindestens 30 Stunden haben, damit ich alles<br />
erledigen kann.» Irgendwann in ferner Zukunft könnte der häufig<br />
geäusserte Wunsch Wirklichkeit werden – allerdings erst nach sehr,<br />
sehr langer Zeit. Daran arbeiten Tag für Tag die riesigen <strong>Ozean</strong>e<br />
der Erde und der Mond.<br />
Bekanntlich sind 71 Prozent der Erdoberfläche mit <strong>Ozean</strong>en bedeckt.<br />
Die grossen Wasservorkommen sorgen unter anderem dafür,<br />
dass das Leben in der uns bekannten Form existieren kann. Doch<br />
so merkwürdig es klingen mag, die Weltmeere beeinflussen auch<br />
die irdische Tageslänge. Allerdings brauchen sie dazu die Hilfe des<br />
Mondes. Dieser umkreist die Erde auf einer leicht elliptischen Bahn<br />
und hat heute eine mittlere Entfernung von 384 000 Kilometern.<br />
Dem Mond werden von den Menschen viele Einflüsse zugeschrieben.<br />
Häufig wohl viel mehr, als er tatsächlich ausübt. Ein vom Mond<br />
verursachtes Phänomen ist allerdings ganz offensichtlich und jeden<br />
Tag zweimal zu beobachten – die Gezeiten. Zweimal am Tag steigen<br />
die <strong>Ozean</strong>e an, um danach wieder auf ein tieferes Niveau zu fallen.<br />
Ebbe und Flut zeigen sich als Folge der Umkreisung des Mondes<br />
auf der ganzen Welt als immerwährender Rhythmus.<br />
Die Gezeitenkräfte bewirken sogar, dass auch der feste Erdkörper<br />
durch die Gravitationswirkung von Mond und Sonne eine<br />
Defor mation erfährt, die in Äquatornähe etwa einen halben Meter<br />
erreichen kann.<br />
Mond und <strong>Ozean</strong>e bremsen die Erddrehung<br />
Das regelmässige Spiel von Ebbe und Flut führt dazu, dass durch<br />
die Reibung der Meere auf dem Erdboden die Erddrehung langsam,<br />
aber sicher gebremst wird. Für die Verlangsamung der Erdrotation<br />
sind jedoch nicht nur die Wasserozeane verantwortlich. Auch die<br />
«inneren <strong>Ozean</strong>e», bestehend aus Magma, verursachen Reibungseffekte,<br />
die zur Bremsung der Erddrehung beitragen.<br />
Glücklicherweise ist der Verlust der Geschwindigkeit der Erdrotation<br />
sehr gering. Zurzeit nimmt die Tageslänge auf der Erde in<br />
Ein Tag hat 24 Stunden. Was auf den<br />
ersten Blick sehr banal erscheint,<br />
war nicht immer so und wird auch nicht<br />
so bleiben. Denn der Mond bremst<br />
mit Hilfe der <strong>Ozean</strong>e die Erddrehung,<br />
womit der Tag langsam, aber sicher<br />
länger wird.<br />
Text: Andreas Walker<br />
jedem Jahrhundert um etwa zwei Millisekunden zu. Auf ein Menschenleben<br />
bezogen ist so eine Zeitspanne so gut wie nichts. Denkt<br />
man allerdings in astronomischen Massstäben, sieht die Sache<br />
anders aus. Tatsächlich hat diese geringe Zunahme bereits einen<br />
Einfluss auf unseren Kalender. Denn so klein diese Abweichung<br />
auch sein mag, sie führt dennoch dazu, dass diese Zeitverzögerung<br />
regel mässig korrigiert werden muss. Aus diesem Grunde wurde<br />
letztmals am Ende des Jahres 1998 eine Schaltsekunde eingeschoben.<br />
Über sehr lange Zeiträume betrachtet, macht sich diese<br />
Zeitverzögerung noch deutlich mehr bemerkbar.<br />
Korallen speichern die Tageslänge<br />
Untersucht man Korallen aus der Gegenwart, weisen diese im jährlichen<br />
Skelettzuwachs über 360 Anwachslinien auf – was einer<br />
Anwachslinie pro Tag entspricht. Forscher untersuchten die Wachstumsringe<br />
von fossilen Korallen und fanden heraus, dass vor 400<br />
Millionen Jahren ein Erdentag nur 22 Stunden dauerte und das<br />
Jahr mehr als 400 Tage hatte.<br />
Dreht man die Uhr noch weiter zurück, auf rund 900 Millionen<br />
Jahre vor unserer Zeitrechnung, kommt man auf eine Tageslänge<br />
von nur etwa 18 Stunden. Das damalige Jahr hatte rund 490 Tage.<br />
Seither hat sich die Rotationsgeschwindigkeit der Erdkugel durch<br />
die Gezeitenreibung auf die heutigen 365,26 Umdrehungen pro<br />
Jahr verringert und damit zu unserem gewohnten und selbstverständlichen<br />
24-Stunden-Tag geführt.<br />
Früher glaubte man, dass die Nautilusschalen einen perfekten<br />
Mondkalender aufzeichnen, indem sie bei jedem Mondumlauf einen<br />
Anwachsring produzieren. Die beiden Forscher Peter Kahn und<br />
Stephen Pompea machten mit einem Artikel Ende der Siebzigerjahre<br />
Furore. Sie zeigten anhand der Nautilusschalen auf, dass sich<br />
die Erde früher schneller drehte und der Mond unseren Planeten<br />
in viel geringerem Abstand umkreiste. Aus ihren Untersuchungen<br />
folgerten sie, dass sich der Mond seit Urzeiten etwa einen Meter<br />
pro Jahr von der Erde entfernt hat. Neueste Messungen zeigen<br />
jedoch, dass diese Zahl viel zu hoch geschätzt war.<br />
Mondrotation gebremst<br />
Die Gezeitenreibung hat die Drehung des Mondes um seine Achse<br />
bereits so weit gebremst, dass er uns heute immer dieselbe Seite<br />
zuwendet. Ausser den Apollo-Astronauten hat noch nie ein Mensch<br />
direkt die Rückseite des Mondes gesehen. Die Gezeitenkräfte<br />
zwischen Erde und Mond bewirken ausserdem im System Erde-<br />
Mond, dass sich unser Trabant pro Jahr etwa um 3,8 Zentimeter<br />
von der Erde entfernt.<br />
In 15 Milliarden Jahren würde eine einzige Erddrehung rund 48<br />
heutige Tage lang dauern. Ebenso bräuchte der Mond für eine Erdumdrehung<br />
48 Tage. In dieser sehr fernen Zukunft würden sich<br />
Erde und Mond immer die gleiche Seite zukehren.<br />
Allerdings wird dies kein Mensch mehr erleben. Nach heutiger<br />
Kenntnis wird sich unsere Sonne in etwa fünf Milliarden Jahren zu<br />
einem roten Riesenstern aufblähen, der etwa 100-mal heller ist als<br />
die heutige Sonne und der sich bis zur Merkurbahn ausdehnen wird.<br />
Auf unserer Erde wird dann ein «Backofenklima» herrschen, in dem<br />
die <strong>Ozean</strong>e verdampfen und die Erdoberfläche glühend heiss wird,<br />
sodass alles Leben ausgelöscht wird. Danach kollabiert unsere<br />
Sonne zu einem weissen Zwerg. Wenn die Sonne dieses Stadium<br />
erreicht hat, besitzt sie noch etwa die halbe Masse der heutigen<br />
Sonne, ist jedoch nur noch etwa so gross wie unsere Erde. <<br />
Credit Suisse Bulletin 3/<strong>08</strong>