16 <strong>Ozean</strong> Schifffahrt Umweltsünder Schifffahrt Lange galt die Schifffahrt als besonders umweltfreundlich. Dabei sind die rund 40 000 Frachter, Kreuzfahrtschiffe, Fischtrawler und Fähren in einem ähnlichen Masse wie der Flugverkehr für rund fünf Prozent der weltweiten CO 2 -Emissionen verantwortlich. Durch das starke Wachstum der Welthandelsflotte, haben Experten ausgerechnet, werden die Emissionen bis zum Jahr 2020 schätzungsweise um 75 Prozent steigen. In jüngster Zeit häufen sich die Forderungen, die Schifffahrt umweltpolitisch an die Kandare zu nehmen. Die Experten des Weltklimarates (IPCC) beispielsweise empfahlen in einem Bericht von 2007 ausdrücklich, Tanker und Frachter mit Zusatzsegeln aufzurüsten – als eine Massnahme, um den Treibstoffverbrauch und damit den CO 2 -Ausstoss einzudämmen. schiffe mit Motoren oder Motorschiffe mit einer Windunterstützung.» Denn die Entwicklungskosten für revolutionäre Schiffe wie beispielsweise für den vom Dänen Knud E. Hansen konzipierten 215 Meter langen Segelfrachter «Windship 1» sind immens. Und die Risikobereitschaft der Reeder hat enge Grenzen, nämlich die der Wirtschaftlichkeit und Rentabilität. Zudem ist die Verladetechnik nicht für grosse Schiffe mit mehreren Masten entwickelt worden. Deswegen, meint Schenzle, seien kurzfristige Lösungen interessanter und attraktiver, wie sie beispielsweise von der Firma SkySails angeboten werden. Das Hamburger Unternehmen produziert Flugdrachen, die Tanker und Frachter mit der Kraft des Windes über die Meere ziehen. Stefan Wrage, Gründer von SkySails, geht davon aus, dass Reeder mit seinem Zusatzantrieb bis zu 35 Prozent Treibstoff einsparen können. Bei einem kleinen, 87 Meter langen Frachter wären das immerhin rund 280 000 Euro pro Jahr. Bis 2015 will Wrage 1500 Drachen verkaufen. Im März dieses Jahres beendete die MS Beluga SkySails, der erste Grossfrachter, der von einem 160 Quadratmeter grossen Drachen gezogen wird, seine Jungfernfahrt. Der Erfolg der Hamburger zeigt, dass alternative Antriebskonzepte auch von Reedereien nicht mehr nur als romantische Spinnerei abgetan, sondern mittlerweile sehr ernst genommen werden. «Solche kleinen Neuerungen sind wichtig», urteilt Heinz Otto vom Bundesverband Wind- Energie (BWE) in Hamburg. «Aber sie können nur der Einstieg in die nachhaltige Schiffsbetriebstechnik sein. Denn die Windnutzung hat ein noch viel grösseres Potenzial, um Energie einzusparen und damit Emissionen zu verringern.» Otto wirbt seit über 30 Jahren bei Politikern und Reedereien für windbetriebene Schiffe. Eine Arbeit, die er als «sehr mühsamen Kampf» bezeichnet. «Die Reeder sind Gefangene ihres weltweiten Konkurrenzdrucks», erklärt er, «sie haben einfach keine Zeit investiert, um eine Zukunft nach dem Öl zu durchdenken.» Schon in den Achtzigerjahren hatten japanische Reeder Tanker und Frachter wie den «Usuki Pioneer» oder den «Shin Aitoku Marumit» mit starren Segelkonstruktionen versehen, die bei der Hafeneinfahrt zusammengeklappt werden konnten. Allerdings setzten sich diese Neuerungen trotz ihres Erfolges nicht durch, da die Wartungs- und Reparaturkosten unerwartet hoch waren und der niedrige Ölpreis niemanden zum langfristigen Sparen und Umdenken zwang. Ein anderer Zusatzantrieb, der gerade seine Wiederentdeckung erlebt, ist der Flettner-Rotor. Er wurde bereits in den Zwanzigerjahren in Norddeutschland entwickelt. Auch diesem Antrieb wird eine grosse Zukunft vorausgesagt. Der Rotor besteht aus einem senkrecht stehenden, rotierenden Zylinder, der zwar nicht besonders schön aussieht, aber durch den so genannten Magnus-Effekt eine sehr effektive Schubkraft erzeugt. Bei gleicher Angriffsfläche kann er die zehnfache Triebkraft eines normalen Segels entwickeln. Bläst der Wind gegen den rotierenden Zylinder, wird er auf der vorderen Zylinderseite mitgerissen und strömt dort schneller. Auf der rückwärtigen Zylinderseite wird er abgebremst und strömt langsamer. Die daraus resultierenden Sog- und Staudruckkräfte erzeugen die Vorwärtsbewegung. Zurzeit wird ein 130 Meter langer Frachter mit vier Flettner-Rotoren in einer Kieler Werft gebaut. «Der Vorteil gegenüber einem Segel ist ein deutlich geringerer Platzbedarf bei höherem Schub», sagt Jacob-Heye Waldecker, Schiffbau-Projektingenieur bei Lindenau. Der französische Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau hatte in den Achtzigern das Forschungsschiff «Alcyone» bauen lassen, das ebenfalls mit Hilfe aktiver Strömungsbeeinflussung fuhr. Allerdings wird die «Alcyone» nicht über Rotoren betrieben, sondern über ein so genanntes Turbosail, das bis zu 30 Prozent der Vortriebsleistung generiert. Auch die reine Sonnenenergie könnte der Schifffahrt den Weg in eine umweltfreundlichere Zukunft weisen. Bereits seit den Achtzigern wurde in verschiedenen Projekten mit Solarantrieben, Solarfolien für Segel oder den Tragflächen von Flugzeugen nachempfundenen Solarflügeln experimentiert. 2007 gelang dem Schweizer Katamaran «Sun21» die erste Atlantiküberquerung – nur mit Hilfe der Sonnenenergie. Allerdings schafft das kleine, 14 Meter lange Boot lediglich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von fünf bis sechs Knoten. Als Antrieb für grosse Handelsschiffe wird die Solaren ergie aufgrund ihrer begrenzten Leistungsfähigkeit und ihres grossen Flächenbedarfs somit wohl unbrauchbar bleiben. Aber denkbar ist, dass reine Solarboote wie beispielsweise kleine Fähren oder Ausflugsboote zur Erkundung von küstennahen Naturschutzgebieten oder Seen die Motorschiffe verdrängen, vor allem in sonnenreichen Regionen. Zudem ist natürlich ein Hybridantrieb mit Solarenergie denkbar, so wie ihn der australische «Solarailor» nutzt. Das Boot bietet Platz für 600 Personen und spart mit seinem Solarantrieb rund 40 Prozent Treibstoff. Intelligente Kombination aller alternativen Antriebe Eine sehr futuristische Vision hat die schwedische Reederei Wallenius Wilhelmsen entwickelt. Auf der Expo 2005 in Japan stellte sie die «Orcelle» vor, einen Trimaran-Frachter, der Platz für 10 000 Autos bietet und der nur mit regenerativer Energie betrieben wird – und zwar mit Wind, Seegang, Solarenergie und zwischengespeichertem Wasserstoff. Auch Schenzle hält solche abenteuerlustigen Projekte künftig für notwendig. «Die intelligente Kombination von Windkraft und Solarenergie als Antriebe der Zukunft ist ja nur der erste Schritt», sagt er. «Wenn wir wirklich einmal ernsthaft die Chance zum vollends emissionsfreien Seetransport nutzen wollen, dann muss sich vieles ändern. Nicht nur in der technischen Hardware, sondern auch vom Energiemanagement der Erzeuger und Verbraucher an Bord bis zur flexiblen Organisation saison- und wetterabhängiger Reisezeiten und Hafenabfertigungen im Rahmen der Transportkette.» Mit anderen Worten: Die Schifffahrt der Zukunft steht erst an ihrem Anfang. < Fotos: Amory Ross | SkySails | Alexis Rosenfeld, Science Photo Library | Dylan Cross Credit Suisse Bulletin 3/<strong>08</strong>
<strong>Ozean</strong> Schifffahrt 17 1 2 3 4 Einstiegsseite und 1 «Maltese Falcon»: Die 88 Meter lange Superyacht wurde im Auftrag des US-Milliardärs Tom Perkins gebaut. Sie verfügt über ein spezielles Segelwerk (Dynarigg), bei dem die drei Grosssegel fest an drehbaren Masten befestigt sind. 2 Erstflug des Sky- Sails-Zugdrachenantriebs auf der MS Beluga SkySails. 3 Die im Auftrag von Jacques-Yves Cousteau konstruierte «Alcyone» verfügt über zwei abgewandelte Flettner-Rotoren. Bei diesen so genannten Turbosails wird ebenfalls der Magnus-Effekt des Windes an Zylindern ausgenutzt, doch kommt es im Innern zu keiner Rotation. 4 Der in der Schweiz gebaute Katamaran «Sun21» überquerte als erstes Motorboot ausschliesslich mit Hilfe von Sonnenenergie den Atlantik und fuhr am 8. Mai 2007 im Hafen von New York ein. Credit Suisse Bulletin 3/<strong>08</strong>