25.12.2012 Aufrufe

Niels Klims unterirdische Reise

Niels Klims unterirdische Reise

Niels Klims unterirdische Reise

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

— 123 —<br />

nach der Stadt der Vernünftigen weiter. Unterwegs beschrieb<br />

mir mein Gefährte den Zustand dieser Stadt und die Gemütsart<br />

der Einwohner. Ich hörte von ihm, dass die Einwohner alle<br />

Logiker oder solche Leute seien, die sich auf die Vernunftlehre<br />

legten, und diese Stadt sei der wahrhafte Sitz der Vernunft,<br />

deshalb habe sie auch diesen Namen erhalten. Als ich meinen<br />

Fuß in die Stadt setzte, wurde ich alsbald gewahr, dass es sich in<br />

der Tat so befände, wie mir erzählt worden war, denn ein jeder<br />

Bürger schien mir wegen der Schärfe seines Verstands, Ernsthaftigkeit<br />

und anständigen Sitten eher ein Ratsherr als ein Bürger<br />

zu sein. Ich hob daher meine Hände gen Himmel und sagte:<br />

»Oh glücklich und aberglücklich ist dieses Land, das lauter<br />

Catones hervorbringt.« Doch da ich die wahre Beschaffenheit<br />

dieser Stadt etwas genauer kennen lernte, merkte ich wohl, dass<br />

hier das eine und andere verabsäumt und nachlässig behandelt<br />

werde und dass das Gemeinwesen einigermaßen wankte, weil<br />

hier gar keine Narren anzutreffen waren. Denn da die Einwohner<br />

hier alle nach den Regeln der gesunden Vernunft überlegen<br />

und niemand weder durch scheinbare Verheißung noch durch<br />

gekünstelte Reden noch auch durch anderes Spielwerk bewegt<br />

werden kann, so fehlen auch hier die Mittel, durch welche die<br />

Gemüter der Untertanen zu vortrefflichen und dem Gemeinwesen<br />

höchst nützlichen Unternehmungen angefrischt werden<br />

könnten, ohne dass das Gemeinwesen etwas aus seiner Kasse<br />

dazu hergeben müsste.<br />

Die Mängel dieser Stadt, die aus der gar zu akkuraten Überlegung<br />

aller Dinge entstehen, erzählte mir ein gewisser Bedienter<br />

des Schatzmeisters mit recht herzzerbrechenden Worten folgendermaßen:<br />

»Es ist hier ein Baum vom andern bloß durch<br />

den Namen und die Leibesgestalt unterschieden, es sucht sich<br />

hier kein Bürger vor dem anderen hervorzutun, weil man hier<br />

keinen für höher hält als den anderen, und niemand scheint<br />

hier weise zu sein, weil sie alle weise sind. Ich gestehe es, die<br />

Torheit ist ein Laster, aber es ist nicht zu wünschen, dass sie<br />

ganz und gar aus einem Staat verbannt werde. Es ist für eine

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!