Niels Klims unterirdische Reise
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nach der Stadt der Vernünftigen weiter. Unterwegs beschrieb<br />
mir mein Gefährte den Zustand dieser Stadt und die Gemütsart<br />
der Einwohner. Ich hörte von ihm, dass die Einwohner alle<br />
Logiker oder solche Leute seien, die sich auf die Vernunftlehre<br />
legten, und diese Stadt sei der wahrhafte Sitz der Vernunft,<br />
deshalb habe sie auch diesen Namen erhalten. Als ich meinen<br />
Fuß in die Stadt setzte, wurde ich alsbald gewahr, dass es sich in<br />
der Tat so befände, wie mir erzählt worden war, denn ein jeder<br />
Bürger schien mir wegen der Schärfe seines Verstands, Ernsthaftigkeit<br />
und anständigen Sitten eher ein Ratsherr als ein Bürger<br />
zu sein. Ich hob daher meine Hände gen Himmel und sagte:<br />
»Oh glücklich und aberglücklich ist dieses Land, das lauter<br />
Catones hervorbringt.« Doch da ich die wahre Beschaffenheit<br />
dieser Stadt etwas genauer kennen lernte, merkte ich wohl, dass<br />
hier das eine und andere verabsäumt und nachlässig behandelt<br />
werde und dass das Gemeinwesen einigermaßen wankte, weil<br />
hier gar keine Narren anzutreffen waren. Denn da die Einwohner<br />
hier alle nach den Regeln der gesunden Vernunft überlegen<br />
und niemand weder durch scheinbare Verheißung noch durch<br />
gekünstelte Reden noch auch durch anderes Spielwerk bewegt<br />
werden kann, so fehlen auch hier die Mittel, durch welche die<br />
Gemüter der Untertanen zu vortrefflichen und dem Gemeinwesen<br />
höchst nützlichen Unternehmungen angefrischt werden<br />
könnten, ohne dass das Gemeinwesen etwas aus seiner Kasse<br />
dazu hergeben müsste.<br />
Die Mängel dieser Stadt, die aus der gar zu akkuraten Überlegung<br />
aller Dinge entstehen, erzählte mir ein gewisser Bedienter<br />
des Schatzmeisters mit recht herzzerbrechenden Worten folgendermaßen:<br />
»Es ist hier ein Baum vom andern bloß durch<br />
den Namen und die Leibesgestalt unterschieden, es sucht sich<br />
hier kein Bürger vor dem anderen hervorzutun, weil man hier<br />
keinen für höher hält als den anderen, und niemand scheint<br />
hier weise zu sein, weil sie alle weise sind. Ich gestehe es, die<br />
Torheit ist ein Laster, aber es ist nicht zu wünschen, dass sie<br />
ganz und gar aus einem Staat verbannt werde. Es ist für eine