UNDERDOG #67
Schwerpunkt: Anti everything
Schwerpunkt: Anti everything
- TAGS
- queer punk
- fanzine
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
IMMER NUR DAGEGEN
KOLUMNE
Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie
ich mich im Alter von 8 Jahren übergeben
musste, als ich während der Hochzeitsfeier
meines Onkels und meiner Tante erfuhr, dass
das, was ich gerade mit dem Löffel aus der
schicken Kristallschale aß, Krabbencocktail
war, und sich ein Schwall unverdautes
umgehend aufs Büfett und umstehende
Personen ergoss. Von diesem Tage an habe
ich kein Fisch und keine Schalentiere mehr
gegessen.
In diesem Alter war ich mit dem
Nachbarsjungen Christian befreundet, dessen
Vater auch Jäger war. Die Vorderseite des
Hauses war übersät mit Jagdtrophäen. Direkt
über der Haustür „begrüßte“ ein 12-Ender die
Besucher*innen. Christians Vater hatte den
alten Hirsch nach eigener Angabe in der
Johannisburger Heide in Polen geschossen. Es
war insgesamt nicht nur ein gruseliger
Anblick, es machte mir auch angst. Eines
Tages fuhren er, Christian und ich mit dem
Jeep zu einem Hof, um im Stall Puten
einzufangen und zu „beringen“. Ich hatte
keinerlei Vorstellung, was das bedeutet,
sondern genoss die Fahrt im Jeep und war
auch immer froh, wenn es auf Reisen ging
und ich vermeintlich neue Abenteuer
außerhalb meines Kosmos erleben durfte.
Ein 12-Ender Rothirsch
Als wir dann auf dem Hof ankamen und Christian
und ich mithalfen, im Stall die ängstlichen Tiere
einzufangen und festzuhalten versuchten, bekam
ich einen Schreck, weil ich unmittelbar mit der
Ausweglosigkeit der Tiere konfrontiert war. Die
Puten waren verängstigt, aufgeregt bis panisch. Es
stank nach Kot und unterdefinierbaren. Als das
eine oder andere Tier eingefangen war und sich
immer noch wehrte, hatte Christians Vater ein
Lötgerät in der Hand und begann, die Schnäbel zu
verlöten, wobei mir der Geruch vom
abgebrannten Horn noch gut in Erinnerung
geblieben ist. Diese Art der Schnabelverkürzung
ist heute verboten. Diese schmerzvolle und unter
Zwang angewandte Technik galt präventiv als
gängiges Mittel um Federpicken, dem
Kannibalismus und/oder das Picken auf den Kopf
zu vermeiden. Für mich war der Anblick damals
ein Schock, weil ich spürte,
10