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Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger

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entwickelt seine Idee an den Dramen Shakespeares <strong>und</strong> ironischerweise an den Ossiandichtungen,<br />

vermeintlich alten gälischen epischen Dichtungen von James McPherson, die später als Fälschungen<br />

entlarvt wurden.<br />

Für Herder sind „Ossians Gedichte Lieder, Lieder <strong>des</strong> Volks, Lieder eines ungebildeten sinnlichen<br />

Volks […], die sich so lange im M<strong>und</strong>e der väterlichen Tradition haben fortsingen können“. 81<br />

Volkspoesie wird als „ungebildet“ <strong>und</strong> „sinnlich“ konzipiert - im Kontrast zu gebildet <strong>und</strong> reflektiert.<br />

Volkspoesie ist für Herder eine orale Tradition, die sich selbst „fortsingt“ – die Formulierung erinnert<br />

sehr an Grimms „sich selbst dichten<strong>des</strong> Epos“. Interessanterweise markiert Herder (auch im<br />

Unterschied zu anderen, auf ihn folgenden Volksliedsammlern) die orale Tradition als eine männliche<br />

– es ist der Vaterm<strong>und</strong>, der die Lieder singt. Er verortet die Volkspoesie als naturhafte Äußerung der<br />

alten Völker:<br />

Der Geist, der sie erfüllet, die rohe, einfältige, aber große, zaubermäßige, feierliche Art, die Tiefe <strong>des</strong><br />

Eindrucks, der je<strong>des</strong> so starkgesagte Wort macht, <strong>und</strong> der freie Wurf, mit dem der Eindruck gemacht<br />

wird – nur das wollte ich bei den alten Völkern, nicht als Seltenheit, als Muster, sondern als Natur<br />

anführen, <strong>und</strong> darüber also lassen Sie mich reden. 82<br />

Mit dem Begriff <strong>des</strong> gemachten Eindrucks denkt Herder ein rezeptionsästhetisches Modell zur<br />

Erfassung der Volkspoesie an, er verortet die Naturhaftigkeit im Eindruck.<br />

Den Zusammenhang zwischen Volk <strong>und</strong> Volkspoesie denkt Herder über die Praxis vermittelt:<br />

Wissen Sie also, daß je wilder, d.i. je lebendiger, je freiwirkender ein Volk ist, (denn mehr heißt dies<br />

Wort doch nicht!) <strong>des</strong>to wilder, d.i. <strong>des</strong>to lebendiger, freier, sinnlicher, lyrisch handelnder müssen<br />

auch, wenn es Lieder hat, seine Lieder sein! Je entfernter von künstlicher, wissenschaftlicher Denkart,<br />

Sprache <strong>und</strong> Letternart das Volk ist: <strong>des</strong>to weniger müssen auch seine Lieder fürs Papier gemacht, <strong>und</strong><br />

tote Lettern Verse sein […]. 83<br />

Die Zusammenhänge werden als kausallogisch (je-<strong>des</strong>to) beschrieben, insofern nimmt Herder hier<br />

durchaus eine geschichtsphilosophische Einordnung vor. „Freiwirkend“ ist dabei nicht zuletzt eine<br />

Diagnose der zeitgenössischen Entfremdung, die eben die freie <strong>und</strong> sinnliche Entfaltung der Kunst<br />

behindere. Etwas später präzisiert Herder dies, als er davon spricht, dass „unsre Sitten […] Sprache<br />

<strong>und</strong> Lieder <strong>und</strong> Gebräuche […] nehmen“. 84 Gleichzeitig bindet er die Sinnlichkeit wieder an Oralität<br />

als Medium – die Lieder sind nicht „fürs Papier gemacht“, sondern in einem alltags- oder<br />

aufführungspraktischen Zusammenhang zu denken, die Gesänge „weben um daseiende<br />

81 Herder: Von deutscher Art <strong>und</strong> Kunst, S. 448.<br />

82 Herder: Von deutscher Art <strong>und</strong> Kunst, S. 472.<br />

83 Herder: Von deutscher Art <strong>und</strong> Kunst, S. 452.<br />

84 Herder: Von deutscher Art <strong>und</strong> Kunst, S. 458.<br />

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