Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger
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1. Einleitung<br />
Identität zählt wohl zu einem der meistumkämpften Begriffe in der Philosophie <strong>und</strong> Psychologie <strong>des</strong><br />
zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>erts. 1 Die Konstruktion von Identität durch Diskurse, ihre Fragmentierung <strong>und</strong><br />
Gebrochenheit rücken ins Zentrum <strong>des</strong> Interesses. Die Rede von einer Identität wird zweifelhaft, das<br />
moderne Individuum findet sich im Spannungsfeld sich überschneidender <strong>und</strong> widersprechender<br />
Identitäten.<br />
Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einem historischen Identitätsdiskurs, der für das europäische<br />
Gesamtgefüge kaum zu überschätzen ist. Es handelt sich um den Diskurs um eine gesamtdeutsche<br />
Identität. Die Diskussion darüber wird lange Zeit anhand <strong>des</strong> Begriffes Volk <strong>und</strong> seines literarischen<br />
Gegenstücks, der Volkspoesie, geführt. Die Fragen nach der Existenz <strong>und</strong> der Substanz eines<br />
deutschen Volkes beschäftigen Theoretiker für Jahrzehnte. Die Gr<strong>und</strong>frage dabei ist immer wieder,<br />
wie eine Synthese von unterschiedlichen Teilen, eine Einheit der Differenz möglich sein soll. Insofern<br />
verw<strong>und</strong>ert es nicht, dass die Antworten auf diese Fragen primär auf dem Gebiet der Ästhetik <strong>und</strong><br />
Kunst gef<strong>und</strong>en werden, einem Gebiet, das lange Zeit den Anspruch erhebt, in seinem Produkt, dem<br />
Kunstwerk, eben jene Synthese zu leisten.<br />
Werden hier also Volk <strong>und</strong> Volkspoesie untersucht, geschieht dies – zumin<strong>des</strong>t implizit – immer mit<br />
einem Blick auf ihre Funktion für den größeren, dahinter stehenden Identitätsdiskurs. Dieser steht in<br />
enger Verbindung zur politischen Entwicklung in Deutschland, die seinen äußeren Rahmen bildet.<br />
Der engere Rahmen wird abgesteckt durch die innere Entwicklung <strong>des</strong> literarischen Fel<strong>des</strong> in dieser<br />
Zeit, die sowohl Ungleichzeitigkeiten als auch Gegenläufigkeiten zulässt. Die Untersuchung hat es<br />
also mit einer doppelten Referenzierung zu tun, einerseits auf die interne Entwicklung der Kunst,<br />
andererseits auf die der Politik. Letztere wird nicht im Detail ausgeführt werden können, worin auch<br />
eine Begrenzung dieser Arbeit besteht – was jedoch nicht ihre Unerlässlichkeit schmälert.<br />
Zeitlich ist die Untersuchung mit den Namen Herder <strong>und</strong> Grimm begrenzt, also von etwa 1770 bis<br />
1820. Diese Begrenzung ergibt sich zum einen aus epochalen Gründen: Die erste Schwelle markiert<br />
den Beginn <strong>des</strong> Sturm <strong>und</strong> Drang, die zweite das Ende der Spätromantik <strong>und</strong> kurz darauf den Tod der<br />
Klassiker Goethe <strong>und</strong> Hegel. Zum anderen aus sachlichen Gründen, da die Bewegung <strong>des</strong> Sturm <strong>und</strong><br />
Drang die Volkspoesie laut für sich reklamiert <strong>und</strong> ihre Kritik daraus speist <strong>und</strong> um 1820 die politische<br />
Umsetzung der in den Jahrzehnten davor entwickelten Ideen sowohl von konservativer Seite, als<br />
auch von revolutionär antibürgerlicher Seite immer stärker verfolgt wird. In der Mitte dieses<br />
Zeitraums steht das epochale Ereignis der französischen Revolution, das den Diskurs über Volk <strong>und</strong><br />
Volkspoesie nachhaltig prägt.<br />
Aus dieser Begrenzung folgt, dass diese Arbeit einen Volksbegriff behandelt, der noch nicht auf seine<br />
1 Vgl. dazu den Überblick von Lutter/Reisenleitner: Cultural Studies, S. 81-89.<br />
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