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Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger

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3.5.3.1. Die Auseinandersetzung mit Achim von Arnim<br />

Nach dem Erscheinen der W<strong>und</strong>erhorn-Sammlung kam es zwischen Jacob Grimm <strong>und</strong> Achim von<br />

Arnim zu einer brieflichen Auseinandersetzung über das Wesen von Natur- <strong>und</strong> Kunstpoesie, die<br />

hauptsächlich in das Jahr 1811 fiel. Darin tritt Grimm für eine historische <strong>und</strong> ästhetische Trennung<br />

von Natur <strong>und</strong> Kunst ein <strong>und</strong> betont die kollektive <strong>und</strong> unbewusste Entstehung von Volksdichtung<br />

(eben das „sich selbst dichtende Epos“). 268<br />

Grimm ordnet die epische Poesie klar einer vergangenen Zeit zu. Die Rückwärtsgewandtheit Grimms<br />

bildet dabei die Folie für die Ablehnung der als aristokratisch-bürokratisch begriffenen Hochkultur<br />

der Gegenwart. Dagegen wird ein nationaler Volksgeist aufgewertet, der im Unterschied dazu<br />

naturwüchsig <strong>und</strong> echt erscheinen soll. 269 Aus dieser Disposition steht Jacob Grimm den<br />

Aktualisierungen <strong>und</strong> Kunstliedern Arnims in der W<strong>und</strong>erhorn-Sammlung sehr skeptisch gegenüber,<br />

er kritisiert das bewusste <strong>und</strong> künstliche Entstehen der Sammlung. Eine Überarbeitung ohne<br />

Anschauung <strong>des</strong> Unterschie<strong>des</strong> zwischen Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart würde der Poesie ihre<br />

Wahrheit nehmen. 270<br />

Die bereits oben untersuchten Stelle aus Gedanken: wie sich die Sagen zur Poesie <strong>und</strong> Geschichte<br />

verhalten, in der Jacob Grimm den Unterschied zwischen Natur- <strong>und</strong> Kunstpoesie absolut setzt <strong>und</strong><br />

als „ewig gegründet“ bezeichnet, erschien 1808 in der Zeitung für Einsiedler. Bereits hier wird die<br />

Antinomie deutlich, denn Arnim versieht sie mit einer Fußnote: „Wir wünschen den historischen<br />

Beweis davon, da nach unserer Ansicht in der ältesten wie in den neusten Poesieen [sic!] beide<br />

Richtungen erscheinen. Einsiedler.“ 271 Hier wird der Unterschied der beiden<br />

geschichtsphilosophischen <strong>und</strong> ästhetischen Standpunkte besonders deutlich: Während Arnim<br />

Volkspoesie als historisch konkrete Form erfasst – damit auch zeitgenössischer Volkspoesie einen<br />

Raum zuweist - <strong>und</strong> die strenge Dichotomie <strong>des</strong> Begriffspaares dekonstruiert, sind für Grimm<br />

Volkspoesie <strong>und</strong> Naturpoesie ahistorische Konstanten. Auch wenn Grimm die Volkspoesie in<br />

Abgrenzung zur Kunstpoesie <strong>und</strong> zu Gebildeten aufspannt - bleibt sie aufgr<strong>und</strong> ihrer abstrakten<br />

historischen Bedeutung weit weniger fassbar, als etwa bei Herder. Wie Günther Niggl betont, bleibt<br />

bei dieser Enthistorisierung entweder „am Ende nur ein totes Zeugnis der Vergangenheit […], um es<br />

als Petrefakt in die Vitrine zu stellen“ oder aber – politisch gewendet – der Versuch „dem eigenen<br />

Volk die nationale Vergangenheit in Musterbildern vor Augen [zu] stellen, damit das darin<br />

268 Vgl. Thalheim: Natur- <strong>und</strong> Kunstpoesie, S. 1834f.<br />

269 Vgl. Thalheim: Natur- <strong>und</strong> Kunstpoesie, S. 1836.<br />

270 Vgl. Schradi: Natur- <strong>und</strong> Kunstpoesie, S. 51.<br />

271 Zit. nach Schradi: Natur- <strong>und</strong> Kunstpoesie, S. 52. - Manfred Schradi weist drauf hin, dass Grimm über seine<br />

spätere Beschäftigung mit der Sprache <strong>und</strong> ihrer eher gegenläufigeren Entwicklung (nämlich immer<br />

elaborierter zu werden, Grimm selbst setzte den Höhepunkt der Sprachentwicklung in die Zukunft) theoretisch<br />

zu einer „Ehrenrettung der Kunstpoesie“ gekommen zu sein, die er jedoch nie auf poetologischem Gebiet<br />

vollzog. (Schradi: Natur- <strong>und</strong> Kunstpoesie, S. 60)<br />

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