Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger
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<strong>des</strong>selben gebricht, <strong>und</strong> Mängel, die aus dieser Quelle entspringen, kann selbst die Feile nicht<br />
wegnehmen.“ 136<br />
Damit ist abstrakt das Gr<strong>und</strong>argument angelegt, auf das Schiller im weiteren Argumentationsgang<br />
immer rekurriert – defizitäre Dichtung lässt auf eine defizitäre Persönlichkeit schließen. Ein<br />
Argument, dass zum obigen Bef<strong>und</strong> über Schillers Urteil über die Person <strong>Bürger</strong>s passt.<br />
Im Weiteren befasst sich Schiller mit den Begriffen „Volk“ <strong>und</strong> „Popularität“, die von <strong>Bürger</strong> implizit<br />
als Karten gegen die elitäre Ästhetik Schillers gespielt werden. Schiller erkennt in <strong>Bürger</strong>s Volksbegriff<br />
die Kippfigur, die schon bei Herder zu finden war, <strong>und</strong> hält dagegen, zwischen „der Auswahl einer<br />
Nation <strong>und</strong> der Masse derselben [sei] ein sehr großer Abstand sichtbar“. 137<br />
Schiller polarisiert nun: Man könne für die „Fassungskraft <strong>des</strong> großen Haufens“ oder für die<br />
„gebildete Klasse“ 138 dichten, fordert aber gleich darauf als dialektische Aufhebung <strong>des</strong>sen eine<br />
Vermittlung beider Pole, nämlich „das Leidenschaftsbedürfnis [...] für die Reinigung der Leidenschaft<br />
[zu] nutzen.“ 139 Die im Sturm <strong>und</strong> Drang noch negativ besetzte Vorstellung von Elite wird hier<br />
umgedeutet – die Elite ist Hort der wahrhaften Volkspoesie, während die Begriffe Masse <strong>und</strong> Pöbel<br />
verschmelzen. Damit wird eine bei Herder angelegte Bedeutungsschattierung weitergeführt, nämlich<br />
die Ambivalenz zwischen Unterschicht <strong>und</strong> Volksmasse. Gleichzeitig beruht Schillers Konzeption auf<br />
einer Ablehnung der Sinnlichkeit, die bei Herder noch entscheiden<strong>des</strong> Kriterium für Volk <strong>und</strong><br />
Volkspoesie war. Der Dichter müsse als „der aufgeklärte, verfeinerte Wortführer der Volksgefühle“<br />
fungieren <strong>und</strong> den „rohen, gestaltlosen, oft tierischen Ausbruch noch auf den Lippen <strong>des</strong> Volks<br />
veredeln.“ 140 Während bei Herder noch das Volk spricht, der Gelehrte als Sammler <strong>und</strong> Verbreiter<br />
auftritt, spricht in Schillers Konzeption der Gelehrte zum Volk. Hinzu tritt in der Kontroverse das<br />
Problem der Popularität, die nicht auf Kosten <strong>des</strong> schönen Ideals realisiert werden dürfe – ein<br />
Problem, das bereits in der Diskussion zwischen Nicolai <strong>und</strong> Herder angeschnitten wurde. Denn nur<br />
im Ideal ist für Schiller die ästhetische Aufhebung der realen Entfremdung möglich, weshalb eine<br />
Entfremdung <strong>des</strong> Ideals von sich selbst nicht zugelassen werden darf. Somit kann der Dichter kein<br />
Sprecher <strong>des</strong> Volkes sein, sondern vielmehr nur sein Erzieher, wie er in Bezug auf <strong>Bürger</strong> nun konkret<br />
präzisiert: Der Dichter sei jemand, der<br />
zu dem Volke bildend herniedersteigt, aber auch in der vertrautsten Gemeinschaft mit demselben nie<br />
seine himmlische Abkunft verleugnet. Hr. B. vermischt sich nicht selten mit dem Volk, zu dem er sich<br />
136 Schiller: <strong>Bürger</strong>s Gedichte, S. 247.<br />
137 Schiller: <strong>Bürger</strong>s Gedichte, S. 247. – Hinderer: Kontroverse als Paradigma, S. 140ff. weist darauf hin, wie sich<br />
die von Schiller hier <strong>und</strong> in Folge in Anschlag gebrachten Kategorien der Läuterung, Beherrschung, <strong>des</strong> Ideals<br />
<strong>und</strong> der persönlichen Integrität <strong>des</strong> <strong>Dichters</strong> an Wieland anlehnen.<br />
138 Schiller: <strong>Bürger</strong>s Gedichte, S. 248.<br />
139 Schiller: <strong>Bürger</strong>s Gedichte, S. 249.<br />
140 Schiller: <strong>Bürger</strong>s Gedichte, S. 249.<br />
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