Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger
Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger
Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Art Rettung in der Not, als Antwort auf den widerspruchsvoll erfahrenen Alltag. Arnim <strong>und</strong> Brentano<br />
schreiben in ihrem Nachsatz: „Wir sprechen aus der Seele <strong>des</strong> armen Grünenwald“. Damit ist bereits<br />
ein gr<strong>und</strong>sätzlicher Zug ihrer Sammlung <strong>und</strong> ihres Interesses angedeutet: Das Sprechen für das Volk.<br />
3.4.1.1. Von Volksliedern<br />
Dem ersten Band der Sammlung beigegeben war ein Aufsatz Arnims mit dem Titel Von Volksliedern,<br />
der ursprünglich für eine mit Brentano gemeinsame Ausgabe eigener Lieder geplant war, dann<br />
Eingang in Reichardts Berlinischer Musikalische Zeitung fand <strong>und</strong> letztlich für die W<strong>und</strong>erhorn<br />
Ausgabe sehr kursorisch zu einem Nachwort umgearbeitet wurde. Arnim hatte den Abdruck mit<br />
Brentano nicht abgesprochen, entsprechend zwiespältig war Brentanos Urteil darüber: „Dein<br />
Volkslieddithyrambe ist ja voll vulkanischer Explosion […] über die eigentümliche Undeutlichkeit<br />
vieler Stellen Deiner Abhandlung, Lieber, verzeihe, zerbreche ich mir selbst schamrot den Kopf.“ 189<br />
Diesem Urteil ist zu folgen, der Aufsatz lässt den Leser teils rätselnd über die Formulierungen zurück,<br />
fasst jedoch auch einige Dinge programmatisch zusammen.<br />
Arnim ist sich sicher, „daß nur Volkslieder erhört werden, daß alles andre vom Ohre aller Zeit<br />
überhört wird.“ 190 Seine Ausführungen beginnen mit der Schilderung eines „Erweckungserlebnisses“,<br />
indem er beschreibt, wie er als Kind die Bediensteten alte Kirchenlieder hat singen hören.<br />
Gleichzeitig baut er eine Kontrastfolie zur echten Volkspoesie auf:<br />
[…] da steht die Menge mit offnem M<strong>und</strong>e, dann sinkt es unter im Hexenkessel überschätzter<br />
Wissenschaft, worin sie damals überkocht wurde. Was mir im Worte lieb, das hörte ich nie allgemein<br />
singen, <strong>und</strong> die schönen Melodieen [!] pfiff ich lieber nach, die falschen Kukuk-Eyer zu verdrängen,<br />
welche dem edlen Singevogel ins Nest gelegt. 191<br />
Als Kontrast dient hier einerseits die „überschätzte Wissenschaft“, die Philosophen werden der<br />
lebendigen Volkspoesie gegenüber gestellt. Dem tritt noch ein anderes Moment hinzu, das in der<br />
gesamten folgenden Argumentation wiederkehrt, nämlich die Verurteilung <strong>des</strong> Allgemeinen.<br />
Volkspoesie wird also als konkret <strong>und</strong> realisiert aufgefasst, im Gegensatz zur Abstraktion – Arnim<br />
drückt dies mit dem Paradoxon „allgemein singen“ aus. Dieser Begriff <strong>des</strong> Konkreten führt Arnim<br />
letztlich zu einer Bestimmung der Volkspoesie als historisch konkret, in ihrer jeweiligen Realisierung<br />
den Gegebenheiten entsprechend, <strong>und</strong> damit auch zu einer Aufwertung der Kunstpoesie aus dem<br />
Geist der Volkspoesie bzw. einer Dekonstruktion der Differenz.<br />
Das Allgemeine ist auch nicht fähig, einen nationalen Gedanken zu befördern. Dies macht Arnim im<br />
Kontrast zum Theater fest:<br />
189 Brentano an Arnim – zit. nach Rölleke: Kommentar zu W<strong>und</strong>erhorn I, S. 551.<br />
190 Arnim/Brentano: W<strong>und</strong>erhorn I, S. 406.<br />
191 Arnim/Brentano: W<strong>und</strong>erhorn I, S. 407.<br />
49