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Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger

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Standpunkte von Grimm <strong>und</strong> Arnim deutlich, die sich über die Abgrenzung verwischt. 276<br />

In der Vorrede zu den KHM betonen Jacob <strong>und</strong> Wilhelm Grimm, es käme ihnen vor allem auf „Treue<br />

<strong>und</strong> Wahrheit“ an. Diese Treue bestand für sie nicht in der konkreten Formulierung, wie sie dies dort<br />

auch erläutern, sondern im Bewahren der poetischen Urform. Jacob Grimm schreibt in einem Brief<br />

an Arnim: „Du kannst nichts vollkommen angemessen erzählen, so wenig Du ein Ei ausschlagen<br />

kannst, ohne daß nicht Euerweiß [sic!] an den Schalen kleben bliebe; [...] die rechte Treue wäre mir<br />

nach diesem Bild, daß ich den Dotter nicht zerbräche.“ 277 Dieses Bild von Kern <strong>und</strong> Schale ist uns<br />

bereits bei Herder begegnet, dort ist der Kern jedoch durch seine Übereinstimmung mit der<br />

jeweiligen historischen Situation gekennzeichnet. Hier wird der Kern oder Dotter als unantastbarer<br />

<strong>und</strong> ahistorischer Bestand, oder wie Manfred Schradi es bezeichnet, als „Arkanum einer schriftlosen<br />

Uroffenbarung“ bezeichnet. 278<br />

Gleichzeitig stellt die Aufwertung der Gattung Märchen eine distinktive Positionierung im<br />

literarischen Feld dar. 279 Ludwig Hassenpflug schreibt in seinen <strong>Leben</strong>serinnerungen über eine<br />

Begegnung mit Jacob <strong>und</strong> Wilhelm Grimm: „Inzwischen war der noch lockere Verkehr […] zu einem<br />

Kränzchen geworden […] <strong>und</strong> bei der isolierten Stellung der Brüder Grimm kam es dazu, daß man sich<br />

stets bei Grimms in deren Wohnung in der Marktstraße neben der Wildschen Apotheke traf.“ 280 Die<br />

„isolierte Stellung“, von der Hassenpflug spricht, zeigt, wie wenig symbolisches Kapital die Brüder<br />

Grimm zu Anfang ihrer Tätigkeit angesammelt hatten. Sowohl in wissenschaftlicher als auch in<br />

gesellschaftlicher Hinsicht waren sie Neulinge – dementsprechend waren sie auf die Handreichungen<br />

für die bereits im Feld etablierten Arnim <strong>und</strong> Brentano angewiesen. Die Abgrenzung von<br />

Arnim/Brentano in der Debatte über Kunst- <strong>und</strong> Naturpoesie zieht dabei künstlich eine Grenze zu<br />

den Mentoren. Während das W<strong>und</strong>erhorn einem autonomen Prinzip folgt, sind die KHM durchaus<br />

auch dem heteronomen Prinzip der Massentauglichkeit verpflichtet. Wahrend speziell Arnim sein<br />

symbolisches Kapital in andere Bereiche zu konvertieren suchte (z.B. politische Publizistik),<br />

276<br />

Bourdieu sagt, der Kampf um symbolisches Kapital „lässt Optionen optisch als unversöhnlich erscheinen, die<br />

logisch nichts voneinander trennt. Da je<strong>des</strong> Lager sich selbst nur setzt, indem es sich entgegensetzt, wird es der<br />

grenzen nicht gewahr, die es im Konstitutionsakt sich selber setzt.“ (Bourdieu: Soziologie <strong>des</strong> Kunstwerks, S.<br />

137)<br />

277<br />

Jacob Grimm an Arnim. 31. Dezember 1812/7. Januar 1813. - Zit. nach: Thalheim: Natur- <strong>und</strong> Kunstpoesie. S.<br />

1842.<br />

278<br />

Schradi: Natur- <strong>und</strong> Kunstpoesie. S. 58.<br />

279<br />

Werner Michler betont die Bedeutung der Gattungswahl für die feldinterne Positionierung, bei der „die<br />

sozialen Semantiken der Gattung differentiell“ aktualisiert werden. (Michler: Möglichkeiten literarischer<br />

Gattungspoetik, S. 191). Michlers Aufsatz bindet die literarische Positionierung an die „anderen<br />

Klassifikationspraktiken einer Gesellschaft“ zurück <strong>und</strong> betont die Übereinstimmungen <strong>des</strong> Habitusbegriffes mit<br />

dem Gattungsbegriff: „Beide bezeichnen generierte generierende Strukturen, die das Individuelle mit dem<br />

Kollektiven vermitteln, <strong>und</strong> bilden Systeme generativer Schemata.“ (Michler: Möglichkeiten literarischer<br />

Gattungspoetik, S. 192). In dieses Ähnlichkeitsverhältnis passt meines Erachtens auch der Begriff Volk hinein.<br />

Im Übrigen verdankt die Arbeit dem Aufsatz <strong>und</strong> seinem Autor zahlreiche Inspirationen.<br />

280<br />

Zit. nach Rölleke: Märchen der Brüder Grimm, S. 78.<br />

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