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Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger

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Die Aufgabe <strong>des</strong> Künstlers ist dem zu Folge, im Buch <strong>des</strong> Volkes zu lesen <strong>und</strong> es zu verkünden – der<br />

Dichter tritt hier als Sprecher für das Volk auf. Dieser Anspruch unterscheidet sich stark von dem bei<br />

Herder, wo der Dichter lediglich Sammler war <strong>und</strong> das Volk selbst zum Sprechen gebracht werden<br />

sollte, <strong>und</strong> völlig vom Anspruch Schillers, der zum Volk als Erzieher sprach. Das Gleichnis <strong>des</strong><br />

Fruchtbaumes zeigt, dass dem Künstler eine Trägerfunktion zugedacht wird, aber mehr noch: Die<br />

Sammeltätigkeit bezieht sich nicht (wie bei Herder) auf die Lieder selbst, sondern in letzer<br />

Konsequenz auf das Volk, das (im durchaus politischen Bild) unter einer Fahne vereint werden soll.<br />

Eben diese Sammlung soll zum „allgemeinen Denkmahle <strong>des</strong> größten neueren Volkes, der<br />

Deutschen, das Grabmahl der Vorzeit, das frohe Mahl der Gegenwart, der Zukunft ein Merkmahl in<br />

der Rennbahn <strong>des</strong> <strong>Leben</strong>s“ werden. 222 Diesen Gedanken stützt auch schon die (ebenfalls von Arnim<br />

verfasste) Aufforderung, in der es heißt: „Wären die deutschen Völker in einem einigen Geiste<br />

verb<strong>und</strong>en, sie bedürften dieser gedruckten Sammlungen nicht, die mündliche Überlieferung machte<br />

sie überflüssig“. 223<br />

3.4.1.2. Zur Ästhetik <strong>des</strong> Volkstümlichen – Restaurationen <strong>und</strong> Ipsefacten<br />

In der Voranzeige zum W<strong>und</strong>erhorn I vom 21. September 1805 ist die Rede davon, dass die Lieder<br />

„aus dem M<strong>und</strong>e <strong>des</strong> Volkes, aus Büchern <strong>und</strong> Handschriften gesammelt, geordnet <strong>und</strong> ergänzt<br />

sind.“ 224 Diese kryptische Formulierung lässt den Eindruck einer Sammeltätigkeit entstehen, die den<br />

engen Kontakt zum einfachen Volk sucht. In der Tat trifft eher die zweite Hälfte, nämlich „aus<br />

Büchern <strong>und</strong> Handschriften“ den tatsächlichen Sachverhalt. Denn die Beiträger waren hauptsächlich<br />

56<br />

schriftstellerisch (dichterisch oder wissenschaftlich tätige[n] junge[n] Menschen, <strong>und</strong> das heißt auch,<br />

daß Arnim <strong>und</strong> Brentano in der Regel nicht die schlichten Niederschriften anspruchsloser Lieder,<br />

sondern solche Einsendungen bevorzugten, die in Auswahl <strong>und</strong> mehr oder weniger deutlicher<br />

Überarbeitung durch den Beiträger bereits von sich aus zu Art <strong>und</strong> Weise der W<strong>und</strong>erhorn-Lieder<br />

stimmten. 225<br />

Ähnlich wie bei den Brüdern Grimm ist also bereits im Akt <strong>des</strong> Sammelns ein Selektionsprozess<br />

gegeben. Auch der zweite Schritt, die Restaurationen <strong>und</strong> Ipsefacten, stellt einen Selektions- <strong>und</strong><br />

Zensurprozess <strong>des</strong> vorhandenen Korpus dar. Die Frage der Überarbeitungen führte zwischen Arnim<br />

<strong>und</strong> Brentano zu Dissonanzen; wie oben erwähnt kann dabei grob gesagt werden, dass Arnim eher<br />

dazu tendierte zu harmonisieren <strong>und</strong> offener für die Aufnahme neuer Lieder war, während sich<br />

Brentano vorsichtiger mit Restaurierungen zeigte. Heinz Rölleke führt einige Beispiele für solche<br />

Änderungen an. Auffällig ist dabei, dass die drastische Verwendung von Flüchen, Schimpfwörtern<br />

<strong>und</strong> Obszönitäten ausgeräumt wird; ferner tendieren die Überarbeitungen dazu, die Lieder<br />

222 Arnim/Brentano: W<strong>und</strong>erhorn I, S. 441.<br />

223 Arnim/Brentano: W<strong>und</strong>erhorn III, S. 347.<br />

224 Arnim/Brentano: W<strong>und</strong>erhorn III, S. 343.<br />

225 Rölleke: Nachwort zum W<strong>und</strong>erhorn, S. 578.

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