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Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger

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anschaubare goldene Zeitalter sein Licht auf die Gegenwart zurückwerfe <strong>und</strong> diese in Ehrfurcht vor<br />

dem Überkommenen die Zukunft gestalte.“ 272<br />

3.5.3.1. Die Schaffung der Gattung Grimm<br />

Da Jacob Grimm wesentlich an der ursprünglichen, vollkommenen Naturpoesie interessiert war <strong>und</strong><br />

in den Märchen letztendlich diese suchte, war auch nicht alles, was unter dem Volk erzählt wurde,<br />

für in von Interesse. Schon die Auswahl der Quellen (schriftlich wie mündlich) wie auch die Auswahl<br />

<strong>und</strong> Redaktion der Märchen war von diesem Erkenntnisinteresse geleitet.<br />

Die Vorrede zu den KHM evoziert das Bild einer oralen, ländlichen Tradition <strong>und</strong> einer<br />

Sammeltätigkeit, die den engen Kontakt zum einfachen Volk sucht. Die geforderte Reinheit der<br />

Erzählungen bewirkte jedoch, dass sich Jacob <strong>und</strong> Wilhelm Grimm „fast ausschließlich an eloquente<br />

<strong>und</strong> gebildete Gewährspersonen wandten, [<strong>und</strong>] daß sie der tatsächlichen oral tradition der<br />

Unterschicht kaum je direkt begegnen konnten <strong>und</strong> wollten“. 273 Die Sammelpraxis der Brüder Grimm<br />

zeigt, dass Volk keineswegs die unterbürgerlichen Schichten meint. Im Gegenteil waren die<br />

Beiträgerinnen zu den KHM junge, gebildete <strong>und</strong> gutbürgerliche Frauen (Friederike Mannel war<br />

Pfarrerstochter, Dorothea Wild Apothekersgattin). Im Falle der Schwestern Hassenpflug war der<br />

Hintergr<strong>und</strong> hugenottisch, in ihrem Haus wurde ausschließlich französisch gesprochen. Selbst bei der<br />

in der Vorrede zum Prototyp der alten Märchenfrau stilisierten Dorothea Viehmann handelte es sich<br />

um ein Konstrukt. Dorothea Viehmann war zwar älter als die anderen Beiträgerinnen <strong>und</strong> aus einer<br />

sozial niedrigeren Schicht, war aber sicher nicht als gemeine Bäuerin einzustufen, da sie aus<br />

französisch-hugenottischem Umfeld stammte, Französisch sprach <strong>und</strong> Gattin <strong>des</strong> Dorfschneiders<br />

war. 274 Durch die Stilisierung der Quellenangaben in den KHM wurde schließlich der Eindruck <strong>des</strong><br />

authentisch Volkstümlichen erweckt. Damit war bereits durch die Quellenauswahl ein<br />

Filterinstrument gegeben, dass die Volkspoesie auf eine bürgerliche Überlieferung festlegte.<br />

Auch die Texte selbst wurden nochmals selektiert; Texte oder Versionen, „die sie durch ethische<br />

Fragwürdigkeiten, Obszönitäten, stumpfe Motive oder scheinbare Unsinnigkeiten entstellt dünkten,<br />

kamen nicht in den Blick oder wurden wieder aus der Sammlung ausgeschieden.“ 275 Populäre<br />

Schwänke oder unanständige Kurzerzählungen wurden so von vorn herein ausgeschieden.<br />

Auf der Suche nach einer Form poetischer Totalität sahen sich Jacob <strong>und</strong> Wilhelm Grimm auch<br />

durchaus berechtigt, dem Wahren zum Durchbruch zu verhelfen. Hier wird die logische Einheit der<br />

272 Niggl: Poesieverständnis, S. 273.<br />

273 Rölleke: Märchen der Brüder Grimm, S. 68.<br />

274 Vgl. Rölleke: Märchen der Brüder Grimm, S. 76ff. sowie S. 90f.<br />

275 Rölleke: Märchen der Brüder Grimm, S. 68.<br />

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