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Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger

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Gefühl“ als möglich erachtet wird. Die Kritik trifft einerseits das generelle Überschätzen <strong>des</strong> fremden<br />

Liedguts als schöner <strong>und</strong> reicher als das deutsche, andererseits aber den Verrat an der eigenen<br />

Sprache. Arnim zu Folge können nur ein soli<strong>des</strong> Verständnis <strong>und</strong> eine tiefe Wertschätzung für das<br />

Eigene ein Ausgangspunkt für die Betrachtung <strong>des</strong> Anderen, Fremden sein. Hier tritt ein deutlicher<br />

Unterschied zu Herder hervor, bei dem die Liedüberlieferung noch Schlüssel zu einer universalen<br />

Sprache <strong>des</strong> Menschlichen war. Bei Arnim ist vorderhand die eigene, deutsche Liedüberlieferung ein<br />

Schlüssel zur eigenen Identität, durch die dann der Anschluss an andere möglich wird.<br />

Auffällig ist die starke Präsenz <strong>des</strong> Politischen in Arnims Text, womit er die W<strong>und</strong>erhorn Sammlung<br />

nicht zuletzt auch als politische Stellungnahme verortet. Er beklagt das Versagen der Regierungen,<br />

den antipoetischen Zustand zu beheben <strong>und</strong> führt auch für den Staat eine Körpermetapher ein. Die<br />

Regierungen hätten versagt, weil sie versuchen, das Fieber durch eine gesamte Schwächung <strong>des</strong><br />

Körpers zu mildern. 204 Diese Metaphorik setzt das organische Kunstgebilde in Beziehung zu einem<br />

organischen Staat. Dies erinnert an die Idee <strong>des</strong> bürgerlichen Staates, der - nach dem Muster eines<br />

organischen Kunstwerkes organisiert – die Synthese aus Teil <strong>und</strong> Ganzen, Allgemeinem <strong>und</strong><br />

Konkreten zu leisten vermag <strong>und</strong> ästhetisch vermittelt ein konkretes Allgemeines (Hegel) zu schaffen<br />

vermag. 205 Dementsprechend ist das Ergebnis von Arnims Zeitdiagnose eine Aufzählung von<br />

Krankheitserscheinungen dieses Körpers:<br />

52<br />

Weil keiner dem Drange seiner Natur, sondern ihrem Zwange nachleben wollte <strong>und</strong> konnte: so wurde<br />

schlecht Geld <strong>und</strong> kurze Ehle in Gedanken, wie auf dem Markte. Kein Stand meinte, daß er wie die<br />

Früchte der Erde durch sein nothwendiges Entstehen trefflich gut sey, sondern durch einige<br />

Taufformeln vom Zwecke ihres Geschäfts. So wollte der Adel das Blut verbessern, die Kaufleute<br />

bildeten sich ein, eigentlich nur zur sittlichen Kultur der Welt zu gehören, die Grübelnden, in ihren<br />

Wort sey Seligkeit, die aber alles verachteten, meinten es besonders getroffen zu haben. […] Wichtiger<br />

ist es, die Wirkungen dieser allgemeinen Erscheinung im Volkslied zu beobachten, sein gänzliches<br />

Erlöschen in vielen Gegenden, sein Herabsinken in andern zum Schmutz <strong>und</strong> zur Leerheit der<br />

befahrnen Straße. 206<br />

Das Handeln gegen den „Drang der Natur“ (oben als Denaturierung beschrieben) wird als Wurzel <strong>des</strong><br />

Problems behandelt. In einer bemerkenswert doppeldeutigen Formulierung werden sowohl das Volk<br />

<strong>und</strong> seine ständische Gliederung, als auch die Volkspoesie selbst als „Früchte der Erde“, mithin als<br />

natürlich gewachsen bezeichnet. Je mehr sich die Gesellschaft <strong>und</strong> der Staat von ihrem gewachsenen<br />

Zustand entfernen, umso mehr verschwindet das Volkslied oder sinkt in unterbürgerliche Schichten<br />

(in den Schmutz <strong>und</strong> die „Leerheit der befahrnen Straße“) ab. Damit verb<strong>und</strong>en ist ein Entgleisen <strong>des</strong><br />

Verhältnisses von Einzelnem <strong>und</strong> Kollektiv: Die Regierungen verlören „alle Achtung, alles Vertrauen<br />

204 Vgl. Arnim/Brentano: W<strong>und</strong>erhorn I, S. 415. – Ulfert Ricklefs hingegen deutet die Fiebermetapher als die<br />

Revolution <strong>und</strong> die Reaktion <strong>des</strong> aufgeklärten Absolutismus darauf. Vgl. Ricklefs: Geschichte, Volk, Verfassung,<br />

S. 70.<br />

205 Vgl. Eagleton: Ästhetik, S. 118 u. 152.<br />

206 Arnim/Brentano: W<strong>und</strong>erhorn I, S. 417.

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