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Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger

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wird <strong>und</strong> Eingang in die Begriffssprache verschiedener sozialer Schichten findet. Der Gebrauch<br />

wandelt sich dabei wie gezeigt stark in Richtung <strong>des</strong> Politischen: Bei Herder dient Volk stark der<br />

Abgrenzung gegen den Adel <strong>und</strong> seiner rigiden Auffassung von Kunst, der Begriff wird als<br />

rousseauistische Utopie zur Schaffung nicht zuletzt eines bürgerlichen Kunstdiskurses eingesetzt, der<br />

auch auf die Schaffung einer politischen Öffentlichkeit abzielt. In der Kontroverse zwischen Schiller<br />

<strong>und</strong> <strong>Gottfried</strong> <strong>August</strong> <strong>Bürger</strong> wird das literarische Feld selbst zum Thema, hier ist die Kategorie Volk<br />

zu einem innerliterarischen Abgrenzungskriterium umfunktioniert. Mit der zunehmenden Etablierung<br />

von Volkspoesie in der Literaturlandschaft <strong>und</strong> der gesellschaftlich parallel laufenden<br />

Autonomisierung <strong>des</strong> literarischen Fel<strong>des</strong> (Autonomiebegriff in der Philosophie, Installation von<br />

Autorschaft) verliert der Volksbegriff zunehmend seine defensive, gegen Adel <strong>und</strong> Oberschicht<br />

gewandte, Komponente <strong>und</strong> wird zu einem Instrument feldinterner Differenzierung. Der stärker<br />

werdende Brechungseffekt <strong>des</strong> literarischen Fel<strong>des</strong> zeigt sich in den Entwicklungen nach 1800, als<br />

durch die napoleonischen Kriege der politische Druck von außen anwächst. Die Rekursion auf einen<br />

„reinen“ Volksbegriff, der Frem<strong>des</strong> auszuscheiden sucht (wie bei Grimm) <strong>und</strong> sich auf eine deutsche<br />

Überlieferungstradition rückbesinnt (ad fontes!), kodiert die politische Abgrenzung von Frankreich<br />

mit literarischen Mitteln. Die Kategorie Volk wird zunehmend eine offensive Kategorie, mit der<br />

Identität weniger durch Abgrenzung als durch Zugehörigkeit (zu einer Erzählgemeinschaft, einer<br />

Volksgemeinschaft, einer Blutsgemeinschaft) gestiftet wird. Mit dieser neuen Offensivität, wie sie bei<br />

Arnim – <strong>und</strong> eher philosophisch gewendet – bei Grimm auftritt, wird der Begriff gleichzeitig zu einer<br />

brisanten politischen Kategorie. Der Druck von außen bringt die Möglichkeit zu Konvertierung <strong>des</strong><br />

symbolischen Kapitals, der literarische Autor wird auch zur politischen Figur – wie Kleist, Arnim <strong>und</strong><br />

Görres zeigen.<br />

Die Auftrennung der Begrifflichkeit in Volk <strong>und</strong> Volkspoesie ermöglicht die Widersprüchlichkeit <strong>des</strong><br />

Konzeptes deutlicher herauszuarbeiten. Volk wird in einer doppelten Abgrenzung entworfen:<br />

Einerseits durch eine soziale Bestimmung, die Volk von der adeligen Oberschicht <strong>und</strong> gleichzeitig<br />

dem unterbürgerlichen Pöbel abgrenzt, andererseits durch eine ästhetische Bestimmung, bei der<br />

künstliche <strong>und</strong> gelehrte Poesie sowie massenliterarische Phänomene <strong>und</strong> unterbürgerliche<br />

Literaturpraktiken mit dem Signum <strong>des</strong> Unanständigen oder Unreinen belegt werden. Die<br />

Volkspoesie begibt sich dabei in Aporien, die nur wenig theoretisiert werden, wie ihre eigene Nähe<br />

zur gelehrten Poesie <strong>und</strong> der exklusive Volksbegriff, der weite Teile volksliterarischer Praktiken<br />

ausschließt. Der Volksbegriff legt seine soziale Differenzierungsfunktion zunehmend ab; eine gewisse<br />

soziale Bestimmung wird ihm inhärent <strong>und</strong> der Begriff pendelt sich auf eine gesellschaftliche<br />

Mittellage ein, die nicht weiter argumentiert werden muss. Eng damit verb<strong>und</strong>en geht die<br />

Entwicklung hin zu einer Naturalisierung der Kategorie Volk. Die Tendenz geht dabei weg von einer<br />

durchscheinend hybriden Konstruktion, wie sie noch bei Herder zu beobachten ist, hin zu einem<br />

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