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Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger

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Das Konzept der Volkspoesie wird dabei als natürlich, organisch <strong>und</strong> total begriffen. Arnim<br />

beschreibt:<br />

Wo etwas lebt, da dringt es doch zum Ganzen, das eine ist Blüte das andre Blat, das dritte seine<br />

schmierige [!] Wurzelfasern, alle drey müssen vorhanden seyn, auch die saubern Früchtchen, die<br />

abfallen. Störend <strong>und</strong> schlecht ist nur das Verkehrte in sich, der Baum mit der Krone eingepflanzt, er<br />

muß eine neue Krone, eine neue Wurzel treiben, oder er bleibt ein dürrer Stab. 199<br />

Die Poesie als organisches Gebilde, das die Totalität herstellen kann – jedoch nicht durch ein Ideal,<br />

sondern durch Verwurzelung <strong>und</strong> Naturalisierung. Arnim beklagt die Entwurzelung der Poesie, das<br />

Einpflanzen <strong>des</strong> Baumes mit der Krone, mithin also das Auseinanderfallen von Kunstpraxis <strong>und</strong><br />

<strong>Leben</strong>spraxis.<br />

An dieses Bild anschließend führt Arnim die Differenz zwischen Natur- <strong>und</strong> Kunstpoesie weiter.<br />

Kunstsänger, die „dialektlos […] singen [,also] ohne zu klingen“ 200 scheiden sich selbst „von dem<br />

Theile <strong>des</strong> Volks, der allein noch die Gewalt der Begeisterung ganz <strong>und</strong> unbeschränkt ertragen<br />

kann“ 201 . Im Bild <strong>des</strong> Baumes räumt er durchaus einen Platz für Kunstpoesie ein („die saubern<br />

Früchtchen“), jedoch ist die Krone ohne die Existenz eines verwurzelten Stammes nicht lebensfähig,<br />

mehr noch, die Krone kann diese Verwurzelung nicht leisten. In seinen Ausführungen öffnet<br />

Brentano also eine Assoziationskette: Erde-Land-Landmann-Dialekt-Naturpoesie-Stamm. Diese Kette<br />

schafft eine direkte Verbindung zwischen dem buchstäblichen Boden <strong>und</strong> der Volkspoesie, nicht<br />

zuletzt scheint hier eine Bindung der Kunst an die Scholle angelegt. Während die Volkspoesie<br />

naturalisiert wird, steht ihr eine denaturierte Kunstpoesie entgegen – wie Arnim es ausdrückt,<br />

würden die Kunstsänger „umsinken in der reinen Bergluft, oder fühllos erstarren.“ 202<br />

Zu diesen Überlegungen, die im Kern an die früheren anschließen, kommt eine radikale Wende hin<br />

zur deutschen Sprache. Arnim betont, dass<br />

[…] aber das Abbild <strong>des</strong> höchsten <strong>Leben</strong>s oder das höchste <strong>Leben</strong> selbst, Sinn <strong>und</strong> Wort, vom Ton<br />

menschlich getragen, auch einzig nur aus dem M<strong>und</strong>e <strong>des</strong> Menschen sich offenbaren könne. Versteckt<br />

euch eben so wenig hinter welschen Liedern, dem einheimischen Gefühl entzogen seyd ihr dem<br />

Fremden nur abgeschmackt. […] Denkt auch daran, daß es gar nichts sagt, fremde Sprachen<br />

melodischer zu nennen, als daß ihr unfähig seyd <strong>und</strong> unwürdig der euern. 203<br />

Wie bei Herder ist der Ton entscheidend, die spezifische Qualität <strong>des</strong> Volkslie<strong>des</strong>, die sich erst in der<br />

konkreten Praxis realisiert. Solche Lieder können sich nur aus dem „M<strong>und</strong> <strong>des</strong> Menschen“ offenbaren<br />

<strong>und</strong> bilden eine orale Tradition. Entscheidend ist der Unterschied zu Herder, dass der M<strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Menschen <strong>und</strong> sein Dialekt hier gekoppelt werden (freilich nur in der Theorie, wie die<br />

Überarbeitungen zeigen) – <strong>und</strong> ein intimes Verständnis der Poesie nur noch im „einheimischen<br />

199 Arnim/Brentano: W<strong>und</strong>erhorn I, S. 411.<br />

200 Arnim/Brentano: W<strong>und</strong>erhorn I, S. 411.<br />

201 Arnim/Brentano: W<strong>und</strong>erhorn I, S. 412.<br />

202 Arnim/Brentano: W<strong>und</strong>erhorn I, S. 412.<br />

203 Arnim/Brentano: W<strong>und</strong>erhorn I, S. 413.<br />

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