Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger
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als transzendent, die Volkspoesie schafft einen Zugang zu dieser mit dem Göttlichen in Berührung<br />
stehenden Sphäre. 264<br />
Damit kommt Grimm an eine Grenze, an der implizit ein Ende der Geschichte angedacht wird- ein<br />
Zustand, in dem die Hoffnung auf eine „zu sich selbst gekommene Geschichte“ in einer Versöhnung<br />
<strong>des</strong> Nationalen mit dem Göttlich-Mythologischen zu einer Vision für die Zukunft wird. 265<br />
Jacob Grimms Konzeption weist in<strong>des</strong> auf eine Entwicklung voraus, Gemeinschaften auch als<br />
Erzählgemeinschaften zu betrachten:<br />
Der Geschichte stellen sich beide, das Märchen <strong>und</strong> die Sage, gegenüber, insofern sie das sinnlich<br />
Natürliche <strong>und</strong> Begreifliche stets mit dem Unbegreiflichen mischen [...]. Daher auch von dem, was<br />
wirkliche Geschichte heißt [...] dem Volk eigentliche nichts zugebracht werden kann, als was sich ihm<br />
auf dem Weg der Sage vermittelt; [...] Wie mächtig das dadurch entstehende Band sei, zeigt an<br />
natürlichen Menschen jenes herzzerreißende Heimweh. Ohne diese sie begleitende Poesie müssten<br />
edele [sic!] Völker vertrauern <strong>und</strong> vergehen; Sprache, Sitte <strong>und</strong> Gewohnheit würde ihnen eitel <strong>und</strong><br />
unbedeckt dünken, ja hinter allem, was sie besäßen, eine gewisse Einfriedigung fehlen. 266<br />
Die Vermittlung <strong>des</strong> sinnlich-abstrakten (für Grimm ästhetischen) Geschichtsprozesses an das Volk<br />
leisten die Sagen. Sie sind es, die ein Volk zusammenhalten <strong>und</strong> Identität schaffen. Durch die<br />
Erzählgemeinschaft erst können gemeinsames Brauchtum <strong>und</strong> gemeinsame Sitte als solche erfasst<br />
werden, sie bilden die Einfriedung einer Gemeinschaft. Insofern präformiert Grimm hier bereits den<br />
Gedanken einer imagined community, wie er von Benedict Anderson analysiert wird. 267 Wesentlich<br />
ist jedoch, dass bei Grimm diese Gemeinschaft eine natürliche ist <strong>und</strong> eben nicht auf Konstruktion<br />
beruht. (Insofern problematisiert er die Hybridität <strong>des</strong> Volksbegriffes weit weniger als Herder,<br />
weshalb sein Modell auch kohärenter bleibt.)<br />
3.5.3. Kern <strong>und</strong> Schale – Zur Ästhetik der KHM zwischen Natur- <strong>und</strong> Kunstpoesie<br />
Die Ästhetik der KHM ergibt sich zum einen aus der Geschichtskonzeption Jacob Grimms, die oben<br />
entwickelt wurde. Sie steht jedoch auch im Spannungsverhältnis zur Sammlung von Arnim/Brentano<br />
<strong>und</strong> dem zeitgenössischen literarischen Feld. In der Folge wird nun untersucht, wie sich Jacob <strong>und</strong><br />
Wilhelm Grimm mit der Schaffung einer eigenen Gattung Grimm (Heinz Rölleke) positionieren.<br />
264 Lukács analysiert diesen Ästhetisierungsprozess von Geschichte als Verinnerlichungsprozess der<br />
bürgerlichen Philosophie. Die Philosophie versuche die Dinge „der ertötenden Wirkung <strong>des</strong> verdinglichenden<br />
Mechanismus […] [zu eintreißen]. Sie werden aber doch nur, insofern sie ästhetisch werden, dieser Erörterung<br />
entrissen. D.h. die Welt muß entweder ästhetisiert werden, was ein Ausweichen vor dem eigentlichen Problem<br />
bedeutet <strong>und</strong> in einer anderen Weise das Subjekt wieder in ein rein kontemplatives verwandelt <strong>und</strong> die<br />
>>Tathandlung