Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger
Diplomarbeit - Leben und Werk des Dichters Gottfried August Bürger
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Die Krisenerfahrung der napoleonischen Kriege brachte eine neue <strong>und</strong> gleichzeitig widersprüchliche<br />
Dimension ein: „The idea of the Volk as a common gro<strong>und</strong> for national identity in times of general<br />
historical crisis had a defensive character. The Romantics tried to develop literary concepts against<br />
what they regarded as politically wrong – the French occupation of Germany or at least of large parts<br />
thereof and the enactement of political reform in some German states, particularly in Prussia.“ 171 Aus<br />
der Defensive heraus wurden höchst offensive <strong>und</strong> politische Konzepte entwickelt, die dann auch<br />
schnell – im literarischen wie politischen Feld – Verbreitung fanden.<br />
Der junge Joseph Görres hatte mit seinen Teutschen Volksbüchern auf die Literatur seit der Mitte <strong>des</strong><br />
15. Jahrh<strong>und</strong>erts zurückgegriffen. Die Volksbücher stellen, gefasst als kohärente Erzählliteratur <strong>des</strong><br />
15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>erts, eine - Hans Joachim Kreutzer folgend - hochgradig konstruierte Gattung<br />
dar, die durchwegs von gesellschaftlich höherstehenden Personen verfasst wurden <strong>und</strong> im besten<br />
Fall für das Volk gedacht waren. Bei Görres zählen in<strong>des</strong> noch Kalender, Briefsteller, Reise- <strong>und</strong><br />
Abenteuerberichte, moralisierende Schriften, Rätsel- <strong>und</strong> Anekdotensammlungen <strong>und</strong> ähnliches<br />
dazu. Ihm kam es durchwegs auf die einfache Machart der Bücher an (Drucke, Oktav, wenig<br />
prunkvolle Ausführungen), wobei er stets neuere Ausgaben aus dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert vorzog, wie er<br />
auch auf den Gebrauchswert der Schriften achtete <strong>und</strong> von einer konstanten Überlieferungstradition<br />
ausging. Kreutzer spricht daher bei Görres Volksbuchbegriff von einer Buchgattung, nicht einer<br />
Textgattung. Dabei positionierte sich Görres noch viel eindeutiger gegen die aufklärerische Tradition,<br />
als dies Arnim <strong>und</strong> Brentano taten, da die Gattung Volksbuch um 1800 noch eindeutig der niederen<br />
Literatur zugerechnet wurde. Dabei war, wie Kreutzer ausführt, die Wirkungsintention umfassender<br />
<strong>und</strong> direkter angelegt als bei den Volkslied- <strong>und</strong> Märchensammlern:<br />
Ihm ging es um die Restitution eines Volksganzen, das seine Sinngebung aus einer Teilhabe aller an der<br />
literarischen Kultur bezog. Diesem Zweck dient der in den Teutschen Volksbüchern propagierte<br />
Rückgang auf ein verschüttetes literarisches Erbe. Auch im Bereich der Literatur selbst geht es dabei<br />
um die Wiedergewinnung einer durch den lauf der Geschichte depravierten, ursprünglich besseren<br />
Gestalt, hier als um eine von der Oberschicht preisgegebene <strong>und</strong> abgewertete Literatur. 172<br />
Görres gibt sich dabei nicht der Fiktion hin, die Volksbücher seien im gemeinen Volk entstanden –<br />
ausschlaggebend für ihn ist die Wirkung im organisch begriffenen Volksganzen. Dabei trennt auch<br />
Görres die unteren Schichten vom Pöbel, immer jedoch mit Blick auf das ganze, integrierte<br />
Volksganze. 173<br />
Die sogenannten Volksbücher rezipiert auch Ludwig Tieck, beispielsweise mit der Schönen Magelone<br />
(1797) oder dem Phantasus (1812-1816), jedoch unter anderen Vorzeichen. Tieck geht es mehr um<br />
171 Lampart: History and the Volk, S. 178.<br />
172 Kreutzer: Mythos Volksbuch, S. 28.<br />
173 In der Darstellung zum Volksbuch folge ich Kreutzer: Mythos Volksbuch, S. 1-15 sowie 16-35.<br />
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