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Der pompöse Marmorpalazzo, erst vor wenigen Jahren erbaut, wirkte wie aus Venezia in<br />
die stille kleine Straße versetzt, die angestammten Adelsvillen mit den bröckelnden Säulen<br />
und immer gleichen Dreispitzdächern bedrängend und in den Schatten stellend. Auch jetzt,<br />
zu vormitternächtlicher Stunde, da die benachbarten Anwesen von der Finsternis verschluckt<br />
waren, strahlte und funkelte Litwinows Haus gleich einem Eispalast aus dem<br />
Märchen: das luxuriös ausgestattete Portal im Licht elektrischer Lampen, wie es die neueste<br />
amerikanische Mode war.<br />
Vom Reichtum seines Eigentümers hatte der Staatsrat viel gehört. Litwinow übte sich in<br />
allerlei Wohltätigkeit, förderte die russischen Künste und füllte auch die Opferstöcke der<br />
Kirchen fleißig - dafür, daß er erst vor kurzem zum Christentum konvertiert war, suchte er<br />
mit übergroßer<br />
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Frömmigkeit Buße zu tun. Dennoch begegnete man dem Millionär in der feinen Moskauer<br />
Gesellschaft mit ironischer Geringschätzung. Witzchen machten die Runde: Angeblich<br />
sollte Litwinow, nachdem er für die Unterstützung von Waisenkindern einen Orden<br />
verliehen bekommen hatte, der zum Adelsrang vierter Klasse berechtigte, seinen<br />
Bekannten nahegelegt haben, ihn künftig mit Exzellenz anzureden, um sich an »Awessalom<br />
Efraimowitsch« nicht die Zunge zu brechen. Zwar empfing man Litwinow in den besten<br />
Moskauer Häusern - jedoch nicht ohne vor<br />
den übrigen Gästen, hinter vorgehaltener Hand<br />
und wie<br />
zur Rechtfertigung, den alten Spruch zu bemühen: Ein getaufter Jude sei ein<br />
beschnittener Christ.<br />
Beim Eintreten in das weiträumige Vestibül<br />
- Carrara-Marmor, Kristallkronleuchter,<br />
gigantische Spiegel, Monumentalgemälde mit Szenen aus der russischen Geschichte - kam<br />
Fandorin allerdings der Gedanke, daß, wenn Awessalom Litwinows Finanzgeschäfte sich<br />
weiterhin so erfolgreich entwickelten, das Baronat eine Frage der Zeit und das ironische<br />
Gewisper spätestens dann verstummt sein würde - denn für Leute, die nicht einfach bloß<br />
reich, sondern durch unermeßlichen Reichtum geadelt waren, gab es sozusagen keine Na-<br />
tionalität.<br />
Dem majestätisch posierenden Lakaien, der noch zu später Stunde im golddurchwirkten<br />
Kamisol und mit gepuderter Perücke ausharrte, brauchte<br />
Fandorin nur seinen Namen und<br />
nicht erst das Anliegen seines Besuches zu nennen.<br />
»Zu Diensten, der Herr!« schnarrte der Lakai mit einer zeremoniellen Verbeugung - wie<br />
sich das ausnahm,<br />
mußte er früher im Palais eines Großfürsten, wenn nicht noch höheren<br />
Orts gedient haben. »Das Fräulein wird sogleich her-<br />
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unterkommen. Wenn Hochgeboren so lange im Diwanzimmer Platz zu nehmen belieben?«<br />
Hochgeboren beliebten<br />
durchaus nicht, und der Lakai eilte (dies freilich nur, soweit es seine<br />
Erhabenheit zuließ) die strahlend weiße Treppe hinauf in den ersten Stock. Wenig später<br />
kam von dort ein Herr herabgehüpft: klein und flink, federnd wie ein Gummiball, mit<br />
lebhaftem Mienenspiel, der Haarkranz akkurat über den kahlen Schädel gekämmt.<br />
»Das freut mich, das freut mich unheimlich, daß Sie uns beehren!« fing er noch auf der<br />
Treppe zu schnattern an. »Sie sind in aller Munde, man lobt Sie, lobt Sie in den höchsten<br />
Tönen ... Freut mich ungemein,<br />
daß unser Firalein so eine hochangesehene Bekanntschaft<br />
pflegt,<br />
sonst tauchen hier, mit Verlaub, nur wild behaarte Kerle auf, mit Dreck an den<br />
Stiefeln und Bierkutschermanieren ... Das macht die Jugend, ich weiß, ich weiß. Und ich