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»Wie konnten Sie nur. Das ist doch ekelhaft.«<br />
»Und ob das ekelhaft ist!« antwortete Larionow durch die angepreßten Handflächen<br />
hindurch mit dumpfer Stimme. »Ich hab doch als Student genauso von sozialer<br />
Gerechtigkeit geträumt. Flugblätter in der Universität geklebt. Dabei bin ich ja erwischt<br />
worden.«<br />
Da er nun die Hände herunternahm,<br />
sah man es feucht in seinen Augen glänzen. Er rieb ein<br />
Streichholz an, machte einen ersten hektischen Zug.<br />
»Subzow ist ein verständiger Mann. >Herr Larionow, Sie haben<br />
doch eine alte und kranke<br />
Mutter zu Hause!< hat er gesagt. >Wenn Sie von der Universität fliegen - und das ist das<br />
mindeste,<br />
was Sie erwartet - das überlebt sie nicht. Ganz zu schweigen von Gefängnis und<br />
Verbannung, Gott behüte, damit bringen Sie sie unter Garantie ins Grab. Lohnt das denn,<br />
frage ich Sie? Um einer Chimäre willen?< Und dann<br />
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fing er von seiner Desinfektion<br />
an zu reden, noch viel blumiger und schöner als ich eben.<br />
>Ich mache keinen Denunzianten aus Ihnensondern einen Hüter unserer<br />
Kinder. So unvernünftig und von Herzen rein, wie sie nun einmal sind, rennen sie über die<br />
blühende Wiese und ahnen nicht, daß hinter ihr ein Abgrund gähnt. Ich möchte Sie bitten,<br />
vor diesem Abgrund<br />
Aufstellung zu nehmen, damit wir gemeinsam die Kinder vor dem<br />
Sturz bewahren.< Subzow ist ein Redner vor dem Herrn, und vor allem glaubt er selber,<br />
was er erzählt. Und ich hab's ihm eben auch geglaubt.« Der Ingenieur lächelte bitter.<br />
»Beziehungsweise, um die Wahrheit zu sagen: Ich hab mich zu diesem Glauben<br />
durchgerungen. Denn meine Mutter hätte es tatsächlich nicht überlebt ... Gut, ich habe also<br />
die Universität abgeschlossen,<br />
Herr Subzow hat mir eine gute Anstellung verschafft. Nur<br />
hat sich leider gezeigt, daß ich nicht zum Hüter bestellt war, sondern zum ganz<br />
gewöhnlichen sogenannten Mitarbeiter. Halb schwanger zu werden ist nun mal unmöglich.<br />
Ich kriege sogar ein Entgelt dafür, fünfundfünfzig Rubel. Zuzüglich fünfzig Rubel Spesen,<br />
abrechnungspflichtig.« Sein Lächeln wurde breiter, entgleiste zu einem höhnischen<br />
Zähnefletschen. »Im Grunde haben alle etwas davon. Nur daß ich nachts nicht mehr<br />
schlafen kann.« Ein Schauer durchfuhr ihn. »Kaum bin ich für einen Moment entspannt,<br />
zucke ich schon wieder zusammen, weil ich es klopfen höre. Jetzt kommen sie, denke ich,<br />
und holen mich. Die einen oder die anderen. Und so geht es die ganze Nacht. Poch-poch.<br />
Poch-poch.«<br />
Im selben Moment ertönte draußen der Türklopfer. Larionow zuckte zusammen und<br />
lachte nervös.<br />
»Da hat sich einer verspätet. Und den ganzen Spaß verpaßt. Ich würde Sie bitten, Herr<br />
Fandorin, solange nach ne-<br />
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benan zu gehen. Es ist nicht nötig, daß man Sie hier sieht. Wie sollte ich denen das erklären?<br />
Ich schicke ihn gleich wieder weg.«<br />
Fandorin begab sich ins Nachbarzimmer. Er bemühte sich nicht zu horchen, doch die<br />
Stimme des Ankömmlings war gar zu laut und helltönend.<br />
»... Und Sie wissen nichts davon, daß wir bei Ihnen unterkommen sollen? Merkwürdig.«<br />
»Keiner hat mir was davon gesagt!« erwiderte<br />
Larionow, und lauter als nötig fragte er: »Sie<br />
gehören tatsächlich zur Kampfgruppe? Dann haben Sie hier nichts zu suchen! Nach Ihnen<br />
wird überall gefahndet. Ich hatte eben erst die Polizei im Haus.«<br />
Alle Diskretion vergessend, trat Fandorin dicht an<br />
die Tür, zog sie einen Spalt auf.