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Einer, der sich nicht auskannte im verschlungenen Geäst des altehrwürdigen Baumes,<br />
welcher das russische Staatswesen war, mochte sich nur schwer vergegenwärtigen, worin<br />
der Unterschied zwischen Geheimpolizei und Gendarmerie recht eigentlich bestand.<br />
Formell<br />
gesehen, oblag ersterer die Verfolgung politischer Täter, letzterer die Ermittlung<br />
gegen sie. Insofern allerdings Verfolgung und Ermittlung zumindest bei geheim geführten<br />
Untersuchungen nicht voneinander zu scheiden sind, taten<br />
beide Behörden praktisch<br />
dasselbe: Sie versuchten, das revolutionäre Krebsgeschwür auszumerzen, und dies mit allen<br />
vom Gesetz vorgesehenen oder auch nicht vorgesehenen Mitteln. Gendarmen ebenso<br />
wie<br />
»Geheime« re<br />
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krutierten sich aus seriösem, gründlich geprüftem Personal, denn mit Staatsgeheimnissen<br />
hatten es beide zu tun. Der Unterschied war nur, daß die Gendarmerieverwaltung des<br />
Gouvernements dem Stab des Sondergendarmeriekorps unterstand,<br />
die Geheimpolizei<br />
dem Polizeidepartement. Das hieraus resultierende Durcheinander verkomplizierte sich<br />
noch dadurch, daß führende Ränge der Geheimpolizei des öfteren auch beim<br />
Gendarmeriekorps geführt wurden, während bei der Gendarmerie wiederum Staatsbeamte<br />
saßen, die vom Departement kamen. Offenbar hatte es in früheren Zeiten einen durch<br />
Erfahrung klugen, von der Lauterkeit der menschlichen Natur nicht allzu überzeugten<br />
Mann gegeben, der meinte, ein Argusauge wäre für so ein ruhloses Imperium zu wenig. Aus<br />
gutem Grund hat der liebe Gott den Menschen zwei Augäpfel geschenkt. Nicht nur, daß<br />
man mit zwei Augen einen Brandherd schneller erspäht hat - man verhindert so auch,<br />
daß<br />
ein Auge allein sich zuviel auf sich einbildet. Darum also war das Verhältnis zwischen den<br />
beiden Säulen der politischen Polizei traditionell von Eifersucht und Feindseligkeit geprägt,<br />
was die Obrigkeit nicht bloß hinnahm, sondern vermutlich sogar förderte.<br />
In Moskau wurde die uralte Fehde zwischen<br />
Gendarmen und »Geheimen« zumindest ein<br />
wenig<br />
dadurch gemildert, daß man denselben Vorgesetzten hatte - den Polizeipräsidenten<br />
nämlich. Das »grüne Haus« am Bolschoi Gnesdnikowski schien hierbei jedoch im Vorteil,<br />
da es über das größere Agentennetz verfügte und darum besser als die blauuniformierten<br />
Kollegen der Gendarmerie über das Leben in der großen Stadt und deren Launen<br />
informiert war - und wer die besseren Informationen hat, der ist für einen Vorgesetzten<br />
allemal nützlicher. Eine gewisse Bevorzugung der Geheimpolizei ließ sich<br />
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schon am Standort ablesen, befand sie sich doch in unmittelbarer Nähe zur Residenz des<br />
Polizeipräsidenten. Um aus dem Hintereingang der einen in den Hintereingang der anderen<br />
zu schlüpfen, hatte man lediglich einen geschlossenen Hof zu überqueren, während<br />
selbst<br />
ein geübter Fußgänger von der Malaja Nikitskaja bis zum Twerskoi eine Viertelstunde<br />
benötigte.<br />
Durch die anhaltende Vakanz des Führungspostens aber war, wie Fandorin sehr gut wußte,<br />
die empfindliche Balance zwischen beiden Behörden gestört. Schon aus diesem Grunde<br />
waren die Verdächtigungen, die Swertschinski über Burljajew und seine Mannschaft<br />
geäußert hatte, mit einiger Vorsicht<br />
zu genießen.<br />
Fandorin stieß die unansehnliche Tür auf und kam in ein schummriges Foyer mit niedriger,<br />
von Rissen durchzogener Decke. Ohne zu zaudern, nur mit einem kurzen Nicken hin zu<br />
dem Türdiener in Zivil, der mit einer stummen, devoten Verbeugung antwortete, lief er<br />
eine alte geschwungene Treppe hinauf in den ersten Stock. Smoljaninow, die Hand am<br />
Säbel, polterte hinterdrein.