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»Eine Dame. Jung und bildschön«, erklärte der Sekretär, die Feder bereitwillig beiseite<br />
legend; wahrscheinlich hätte er selbst gern mehr gewußt. »Der Name ist mir nicht bekannt,<br />
sie ist ohne Anmeldung hinein. Frol hat ihr Einlaß verschafft.«<br />
»Wedischtschew ist also auch drin?«<br />
Darauf mußte der Sekretär nicht antworten, denn nun ging die hohe weiße Tür leise<br />
knarrend auf, und Wedischtschew erschien.<br />
»Frol, ich muß in dringender Angelegenheit zu Seiner Erlaucht, es ist äußerst w-w-...<br />
wichtig!« stieß Fandorin erregt<br />
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hervor, doch der fürstliche Kammerdiener benahm sich mehr als eigenartig: legte den<br />
Finger vor die Lippen, krümmte ihn dann, um Fandorin<br />
hinter sich herzulocken, und<br />
humpelte, flink ein krummes, filzbeschuhtes Bein vor das andere setzend, über den<br />
Korridor.<br />
Achselzuckend folgte der Staatsrat dem Alten. Vielleicht sind die Klagen der Petersburger,<br />
daß die greise Moskauer Obrigkeit wunderlich zu werden anfange, doch nicht ganz von der<br />
Hand zu weisen! dachte er dabei.<br />
Wedischtschew<br />
lief durch mindestens fünf Türen, bog mal nach rechts, mal nach links, bis<br />
sie schließlich in einen schmalen kleinen Flur kamen, der, wie Fandorin wußte, das Kabi-<br />
nett des Generalgouverneurs mit den Privatgemächern verband.<br />
Hier blieb Frol Wedischtschew stehen, legte erneut den<br />
Finger an die Lippen und stieß<br />
sachte ein niedriges Türchen auf. In dem nun lautlos sich öffnenden Spalt war alles, was im<br />
Kabinett vor sich ging, bestens einzusehen.<br />
Fandorin sah Dolgorukoi von hinten im Sessel sitzen und vor ihm, in bemerkenswert<br />
geringem Abstand, eine Dame oder ein Fräulein. Von einem Abstand konnte eigentlich<br />
überhaupt keine Rede sein - die Besucherin barg das Gesicht an der Brust Seiner Erlaucht,<br />
so daß nur noch ihr Scheitel<br />
hinter den goldenen Epauletten zu sehen war. Schluchzer<br />
durchbrachen die Stille, begleitet von kläglichem Schniefen.<br />
Fandorin warf einen verständnislosen Blick auf den Kammerdiener, worauf der einmal<br />
mehr höchst eigenartig reagierte: Sein runzliges Auge zwinkerte ihm zu. Fandorin, dessen<br />
Verwirrung wuchs, richtete den<br />
Blick wieder auf den Türspalt, sah den Fürsten die Hand<br />
heben und dem weinenden Wesen<br />
behutsam über das schwarze Haar streichen.<br />
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»Das wird schon wieder, mein Häschen«, hörte er Seine Erlaucht mit großer Zärtlichkeit<br />
sagen. »Recht so, daß du zu mir altem Mann gekommen bist, um dein Herz auszuschütten.<br />
Weinen tut immer gut. Und was ihn betrifft, da kann ich dir nur<br />
den einen Rat geben:<br />
Schlag ihn dir aus dem Kopf. Er paßt nicht zu dir. Und eigentlich zu niemandem. Du bist<br />
ein aufrichtiges Mädchen, liebst mit heißem Herzen, halbe Sachen sind gar nicht dein Fall.<br />
Er hingegen - ich mag ihn sehr, doch das muß ich sagen: Er ist eine kühle Natur. Wie mit<br />
Reif beschlagen. Oder mit Asche. Den kriegst du nicht aufgetaut<br />
und zum Leben erweckt.<br />
Das haben<br />
vor dir schon andere versucht. Hör auf meinen Rat, verschenk nicht dein<br />
Herzblut an ihn. Such dir einen anderen Jungen, ein stilles klares Wasser. Mit so einem<br />
hast<br />
du mehr Glück, glaub das einem alten Mann wie mir.«<br />
Fandorin hörte den Fürsten reden, und seine schmalen Augenbrauen krochen argwöhnisch<br />
auf die Nasenwurzel zu.<br />
»Ich will aber kein stilles Wasser«, heulte das schwarzhaarige Wesen<br />
mit tränenerstickter,<br />
doch sehr wohl zu erkennender Stimme. »Sie verstehen gar nichts!<br />
Er ist nicht kühl, er ist