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Am anderen Ende der Brücke zwischen den Gleisen stand, den Mantelkragen<br />

hochgeschlagen, Hände in den Taschen, ein großgewachsener Jud. Der scharfe Wind<br />

zauste die schwarzen Haare auf dem unbedeckten Kopf.<br />

Als die Vordersten schon nahe heran waren, zog der Mann wortlos die rechte Hand aus der<br />

Tasche. In ihr steckte ein schwerer schwarzer Revolver.<br />

Die Vordersten wollten stehenbleiben, die Nachfolgenden aber, die den Revolver nicht<br />

sehen konnten, strebten weiter, die Bewegung der Menge war nicht zu bremsen.<br />

Da schoß der schwarze Mann einmal über die Köpfe der Entgegenkommenden hinweg.<br />

Der Schuß hallte in der frostigen Morgenluft, das Echo ging ein paar Mal über den Fluß hin<br />

und her: Krrach! Krrach! Krrach!<br />

Die Menge kam zum Stehen.<br />

Der Schwarze sagte immer noch nichts. Sein Gesicht war ernst und maskenhaft, die<br />

Revolvermündung senkte sich, blickte nun den zuvorderst Stehenden direkt in die Augen.<br />

Da drängte, ungestüm mit den Ellbogen arbeitend, der Zimmermann Jegor durch die<br />

Menge nach vorn, ein Draufgänger und Luftikus. Gestern hatte er den ganzen<br />

Tag<br />

besoffen irgendwo herumgelegen, die Judenjagd war ihm entgangen, heute konnte er es<br />

nicht erwarten, das Versäumte nachzuholen.<br />

»Schieß doch! Na schieß doch!« sagte Jegor lachend und krempelte die Ärmel seines<br />

zerschlissenen Rocks auf. »Hat sich was! Der und schießen! Das wird der grad wagen!«<br />

30<br />

Jegors Worte waren kaum gesprochen, da antwortete der Revolver mit Donner und Rauch.<br />

Der Zimmermann faßte sich an die durchschossene Schulter und ging<br />

ächzend in die Knie,<br />

während<br />

es aus der schwarzen Mündung in gleichmäßigen Abständen vier weitere Male<br />

krachte.<br />

Mehr Kugeln waren nicht in der Trommel, also holte Grin die selbstgebaute Bombe aus der<br />

linken Manteltasche. Doch sie zu werfen bestand kein Anlaß - das Wunder war schon<br />

geschehen. Mitri Kusmitsch, am Knie getroffen, fing so gräßlich zu jaulen an - »Au, au, er<br />

hat mich getroffen, er hat mich getroffen, ihr Rechtgläubigen!« -, daß ein Zucken durch die<br />

Menge ging, sie wich zurück. Kurz darauf flohen die Männer,<br />

einander umrennend, über<br />

die Brücke zurück in ihre Siedlung.<br />

Grin sah den Fliehenden nach und spürte zum ersten Mal deutlich,<br />

daß das Lasurblau in<br />

ihm zur Neige ging, das Stahlgrau nunmehr den Ton angab.<br />

In der Abenddämmerung traf der Kreispolizeichef mit einem Zug berittener Polizisten<br />

ein<br />

und sah, daß im Städtchen alles ruhig war. Er wunderte sich. Nachdem er kurz mit den<br />

Juden gesprochen hatte, zog er wieder ab, den Apothekersohn nahm er mit, ins Gefängnis.<br />

Grigori Grinberg wurde zu Grin, als er zwanzig war und wieder einmal auf der Flucht.<br />

Nach anderthalbtausend Werst<br />

zu Fuß, schon kurz vor Tobolsk, ging er dummerweise<br />

einer Polizeistreife ins Netz, die Landstreicher aufgriff. Sie wollten seinen Namen wissen,<br />

also nannte er einen - und dachte dabei nicht an seinen eigenen, sondern an Ignati<br />

Grinewizki, den Zarenmörder.<br />

30<br />

Bei Schlag eintausendachthundert hatte er das Gefühl, daß seine Kräfte wiederhergestellt<br />

waren; er erhob sich leicht und ohne daß die Hände<br />

den Boden berührten. An Zeit war kein<br />

Mangel. Es war erst Abend, die Nacht lag noch vor ihnen.<br />

Wie lange sie noch in Moskau verweilen mußten, war ungewiß. Zwei Wochen wohl, kaum<br />

weniger.<br />

Bis die Spitzel aus den Zügen und von den Bahnhöfen abgezogen waren. Grin

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