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Fandorin sagte dem widerspenstigen Adjutanten Lebewohl und mußte kräftig ausschreiten,<br />
denn bis zum anberaumten Zeitpunkt blieben weniger als zehn Minuten.<br />
Die Audienz fand nicht im Kabinett des Großfürsten, sondern im Festsalon statt - wohl<br />
damit den einbestellten Bediensteten die historische Größe des Augenblicks gebührend<br />
aufging. Pünktlich um halb sechs öffneten zwei hochnäsige Lakaien in Lockenperücken die<br />
Flügel der großen Tür, der Haushofmeister mit dem goldenen Stab durchschritt sie als<br />
erster und verkündete lauthals: »Seine Hochgeboren, Staatsrat Fandorin.«<br />
Auf der Schwelle tat Fandorin zunächst eine tiefe Verbeugung und erlaubte sich erst dann,<br />
dem leiblichen Bruder des Zaren ins Gesicht zu sehen. Großfürst Simeon<br />
Alexandro-witsch hatte auffallend wenig Ähnlichkeit mit seinem stiernackigen Bruder:<br />
Schlank und gut gebaut, mit länglichem, blasiertem Gesicht, Spitzbärtchen und Pomade im<br />
Haar, ließ er viel eher an einen Habsburger Prinz zu Veläzquez' Zeiten denken.<br />
»Grüß dich,<br />
Fandorin. Tritt näher!« sprach Seine Hoheit ihn an.<br />
193<br />
Wohl wissend, daß das Du von Seiten eines Mitglieds<br />
der Zarenfamilie dem Untergebenen<br />
als Zeichen der Anerkennung zu gelten hatte, verzog Fandorin dennoch kurz das Gesicht.<br />
Er trat vor den Großfürsten hin, drückte ihm die gepflegte weiße Hand.<br />
»So also siehst du aus«, sagte Simeon Alexandrowitsch und musterte den feschen<br />
Kriminalbeamten mit beifälligem Interesse. »Posharski hat dich in seinen Berichten stets<br />
mit Lob überhäuft. Was für eine Tragödie, daß er tot ist. Ein derart fähiger Mann. Mir und<br />
dem Throne so selbstlos ergeben.«<br />
Der Generalgouverneur schlug ein Kreuz; Fandorin zeigte keine Anstalten,<br />
es ihm<br />
nachzutun.<br />
»Erlauben Eure Kaiserliche Hoheit, daß ich Sie über die M-m-... Machenschaften des<br />
Fürsten Posharski in der Angelegenheit Kampfgruppe in Kenntnis setze. Ich erstellte<br />
hierzu bereits einen Rapport an den Innenminister, worin detailliert dargelegt ist, in welcher<br />
Weise ...«<br />
»Hab ich gelesen«, fiel der Großfürst ihm ins Wort. »Der Minister hielt es für geraten, deine<br />
Darlegungen an mich, den Moskauer Generalgouverneur, weiterzuleiten. Mit der hand-<br />
schriftlichen Anmerkung: Reine Hirngespinste! Gefährlich außerdem. Freilich habe ich den<br />
seligen Posharski viel zu gut gekannt, um auch nur eines deiner Worte anzuzweifeln. Alles<br />
wird so gewesen sein. Du bist pfiffig und hast genau hingesehen. Posharski hat dich richtig<br />
eingeschätzt, er hatte überhaupt eine hervorragende Menschenkenntnis. Trotzdem wäre es<br />
besser gewesen, du hättest den Bericht nicht geschrieben. Vielleicht hätte er einen Sinn<br />
gehabt, wenn dein Konkurrent noch am Leben wäre. So aber... Was soll es dir nützen, einen<br />
toten Löwen zu piesacken?«<br />
Fandorin war bestürzt und verlegen zugleich.<br />
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»Aber ich b-b-... bitte Sie, Eure Hoheit«, protestierte er, »ich habe meinen Rapport<br />
nicht zu<br />
solchem Zweck verfaßt. Vielmehr wollte ich das Augenmerk meiner vorgesetzten Instanzen<br />
auf die Praktiken der G-geheimen Staatspolizei lenken ...«<br />
Eine herablassende Geste des Großfürsten brachte ihn zum Schweigen.<br />
»Ich kann Gleb für seine Narreteien, nebenbei gesagt, nicht allzu böse sein. Eigentlich sind<br />
sie sogar witzig, auf ihre Art ... Wie ich überhaupt Leuten, die mir treu<br />
ergeben sind, so<br />
manches<br />
nachsehe«, fügte Seine Hoheit mit bedeutungsvoller Eindringlichkeit an. »Auch<br />
du wirst Gelegenheit haben, dich davon zu überzeugen. Was deinen Bericht angeht -den