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selbst störte das nicht, er war geduldig. Acht Monate Einsamkeit waren eine gute Schule<br />

gewesen.<br />

Doch den anderen in der Gruppe, so jung und heißblütig, wie sie waren, würde<br />

das Warten schwerfallen.<br />

Er ging aus dem Schlafzimmer hinüber in den Salon, wo die drei saßen.<br />

»Wieso schläfst<br />

du denn nicht?« fragte Stieglitz, der Jüngste, erschrocken. »Etwa<br />

meinetwegen? Hab ich zu laut gequasselt?«<br />

In der Gruppe galt das Du, unabhängig vom Alter und von revolutionären Verdiensten.<br />

Sollte man Sie zueinander sagen, wenn man schon morgen oder in einer Woche oder einem<br />

Monat gemeinsam in den Tod gehen würde? Es gab auf der ganzen Welt sonst keinen, mit<br />

dem Grin sich duzte, nur diese drei: Stieglitz, Jemelja und Rachmet. Es hatte andere gege-<br />

ben, doch sie waren alle tot.<br />

Stieglitz sah frisch und munter aus, was nicht verwunderlich war - an Aktionen durfte der<br />

Junge noch nicht teilnehmen, so viel er auch bettelte und sogar<br />

heulte vor Wut. Die<br />

anderen beiden wirkten trotz der Ausgelassenheit ziemlich müde, und auch dies war<br />

normal.<br />

Die Operation war glatter verlaufen als gedacht. Geholfen hatten der Schneesturm und<br />

insbesondere<br />

die Verwehung der Gleise vor Klin - ein wahres Geschenk des Himmels.<br />

Rachmet<br />

31<br />

und Jemelja hatten mit dem Schlitten in drei Werst Entfernung vom Bahnhof gewartet.<br />

Dem Plan nach hätte Grin aus dem Fenster des fahrenden Zuges springen müssen und<br />

sich<br />

vielleicht die Knochen geprellt. Dann hätten sie ihn aufgelesen. Oder die Wache hätte den<br />

Abspringenden<br />

bemerkt und das Feuer auf ihn eröffnet. Auch in diesem Fall wäre der<br />

Schlitten von Nutzen gewesen.<br />

Doch es ging besser aus. Grin kam einfach die Gleise entlanggerannt, heil und unversehrt.<br />

Er fror nicht einmal - die drei Werst hatten gereicht, sich warm zu<br />

laufen.<br />

Sie umfuhren im Bogen das Schwemmland des Flüßchens Sestra, wo Arbeiter dabei waren,<br />

die Strecke zu säubern. An der nächsten Bahnstation ergatterten sie eine verwaiste alte<br />

Draisine und rollten auf ihr bis zum Moskauer Rangierbahnhof. Reichlich fünfzig Werst<br />

den rostigen Hebel zu schwingen, noch dazu bei Sturm und Schneetreiben, war natürlich<br />

kein Kinderspiel. Kein Wunder, daß<br />

die Jungen irgendwann mit den Kräften am Ende<br />

waren, sie waren ja nicht aus Stahl. Zuerst machte Rachmet schlapp, dann<br />

auch der<br />

kräftigere Jemelja. Die ganze zweite Hälfte des Weges mußte Grin allein bestreiten.<br />

»Wie der böse Drache Gorynytsch aus dem Märchen!«<br />

rief Jemelja und schüttelte begeistert<br />

seinen Löwenkopf. »Ein halbes Stündchen in die Höhle kriechen, die alte Schuppenhaut<br />

abwerfen, die abgeschlagenen Köpfe nachwachsen lassen, und schon ist der Drache wieder<br />

neu. Ich dachte, ich bin der Stier, aber mir hängt die Zunge immer noch aus dem Hals. «<br />

Jemelja war ein guter Kämpfer. Kräftig, die Ruhe bewahrend, ohne jede intellektuelle<br />

Arroganz. Ein angenehmes, besänftigendes<br />

Dunkelbraun. Seinen Decknamen hatte er zu<br />

Ehren Pugatschows gewählt, früher hatte er Nikifor Tjunin<br />

31<br />

geheißen. Er war ein echtes Proletarierkind, der Vater Arbeiter in einem Rüstungsbetrieb.<br />

Breite Schultern,<br />

breites Gesicht, mit kindlich kleiner Nase und gutmütigen Kulleraugen.<br />

Es kam nicht oft vor, daß aus der am meisten geknechteten Klasse standhafte, bewußte<br />

Kämpfer hervorgingen - doch war einmal einer darunter, dann konnte man sich auf ihn<br />

verlassen. Grin<br />

selbst hatte Jemelja aus fünf von der Partei geschickten Anwärtern

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