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Die geheimnisvolle »Mitarbeiterin« also, die mit der Gendarmerie, der Geheimpolizei und<br />

den Revolutionären gleichermaßen verbandelt schien. Und dabei, so durfte man annehmen,<br />

alle gleichermaßen verriet. Gegen jede Art<br />

Moral verstieß, nicht nur die politische,<br />

wie sich aus Swertschinskis und Burljajews Verhalten ersehen ließ. Konnte es übrigens sein,<br />

daß man in revolutionären Kreisen die Beziehungen der Geschlechter tatsächlich freier<br />

handhabte, als in der Gesellschaft gang und gäbe?<br />

Skeptisch betrachtete Fandorin sein schlafendes<br />

Dornröschen. Jetzt rührten sich die roten<br />

Lippen, etwas Lautloses formend, und die langen schwarzen Wimpern zuckten. Zwischen<br />

ihnen glommen zwei feuchte Fünkchen auf, um schon nicht mehr zu erlöschen. Esfir<br />

klappte die Augen auf, sah Fandorin und lächelte.<br />

»Was machst<br />

du da?« fragte sie, die Stimme noch rauh vom Schlaf. »Komm her.«<br />

»Ich ... Ich wollte dich was fragen ...«, begann er, zögerte und brach ab.<br />

Gehörte es sich, private Beziehungen zu Ermittlungszwecken zu mißbrauchen?<br />

95<br />

»Frag doch!« Sie setzte sich gähnend auf. Räkelte<br />

sich wohlig, so daß die Decke ein wenig<br />

herabrutschte und Fandorin Mühe hatte, sich nicht ablenken<br />

zu lassen.<br />

Er fand<br />

eine Lösung für seinen moralischen Zwiespalt.<br />

Über Diana durfte er sie selbstverständlich nicht ausfragen. Über ihr revolutionäres<br />

Umfeld erst recht nicht - und sowieso gehörte Esfir wohl kaum einer ernst zu nehmenden<br />

regierungsfeindlichen Bewegung an. Zugelassen waren Fragen allgemeinsten Charakters -<br />

soziologische, sozusagen.<br />

»Sag mal, Esfir, stimmt es, daß die F-frauen der Revolution in ... äh, Liebesdingen sehr<br />

freizügige Einstellungen pflegen?«<br />

Sie lachte<br />

auf, zog die Knie ans Kinn, umschlang sie mit den Armen.<br />

»Ich hab's gewußt! Was<br />

bist du bloß für ein typischer Bourgeois. Sobald eine Frau einmal<br />

nicht das ganze übliche Spektakel weiblicher Zurückhaltung abzieht, wird sie loser Sitten<br />

verdächtigt. >Wo denken Sie hin, mein Herr, so eine bin ich nicht! Pfui, welch ein Unflat!<br />

Nein, nein, nein - erst die Hochzeit! «< äffte sie mit widerwärtig spitzmundigem<br />

Stimmchen. »So wollt ihr, daß wir uns benehmen. Ja natürlich, das sind die Gesetze des<br />

Kapitals! Wer eine Ware gut verkaufen will, muß zunächst für ihre Begehrtheit sorgen,<br />

damit der Speichelfluß des Kunden in Gang kommt. Ich aber bin keine Ware, Euer<br />

Hochgeboren. Genausowenig wie Ihr mein Kunde seid.« Esfirs Blick glühte im Zorn der<br />

Gerechten, ihre schmale Hand fuhr wütend durch die Luft. »Wir Frauen einer neuen<br />

Epoche genieren uns nicht unserer Natur und suchen uns selbst aus, wen wir lieben. Bei<br />

uns im Zirkel zum Beispiel gibt es ein Mädchen, vor dem die Männer zurückprallen, so<br />

abstoßend häßlich ist die Ärmste, eine wahre Mißgeburt, ein Alptraum.<br />

95<br />

Doch wird sie von allen respektiert,<br />

nämlich ihres Verstandes wegen, der schärfer ist als der<br />

so mancher Grazie. Und von ihr kannst du hören, daß die freie Liebe nicht als landläufige<br />

Sünde, sondern als ein Bund zweier gleichberechtigter Wesen zu betrachten ist. Ein<br />

vorübergehender, versteht sich, insofern<br />

Gefühle eine flüchtige Materie sind und sich nicht<br />

lebenslänglich<br />

in den Turm sperren lassen. Auch du brauchst keine Angst zu haben, daß ich<br />

dich vor den Altar zerre. Ich verlasse dich sowieso bald. Du bist nämlich absolut nicht mein<br />

Fall, und eigentlich bist du ganz schrecklich! Ich möchte deiner recht bald überdrüssig<br />

werden, für alle Zeit desillusioniert. Was glotzt du so? Komm her! Augenblicklich!«

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