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Quer über das Bett hingestreckt lag Esfir. Arme über dem Kopf, der süße Mund halboffen,<br />
das denkwürdige Purpurkleid hoffnungslos zerknittert. Sie mußte direkt vom Empfang<br />
hergekommen sein, nachdem Erast sich entschuldigt hatte und zum Ort der Tragödie<br />
aufgebrochen war.<br />
Fandorin prallte zurück, wollte in sein Kabinett, wo er es sich im großen Sessel ausreichend<br />
hätte bequem machen können, stieß dabei jedoch mit der Schulter gegen den Türpfosten.<br />
Im nächsten Moment öffnete Esfir die Augen, setzte sich auf und rief mit heller, klarer<br />
Stimme, als hätte sie nicht eben noch geschlafen: »Da bist du ja endlich! Was ist, hast<br />
du<br />
deinen Gendarmen<br />
ordentlich beweint?«<br />
Fandorins Nerven waren nach der schweren, fruchtlos durchwachten<br />
Nacht zum<br />
Zerreißen gespannt. Darum fiel seine Antwort so schroff<br />
aus, wie man es von ihm nicht<br />
kannte.<br />
»Nur um einen Gendarmerieobersten zu ermorden, auf dessen Stuhl schon m-morgen<br />
ein<br />
anderer Platz nimmt, ha<br />
121<br />
ben die Helden der Revolution einer vollkommen unschuldigen Frau den Kopf und einem<br />
Jungen die Beine weggesprengt. Ein Greuel und eine Schande, das ist d-deine Revolution!«<br />
»Ach ja? Die Revolution? Ein Greuel und eine Schande?« Esfir war aufgesprungen,<br />
stemmte<br />
kampflustig die Hände in die Seiten. »Und dein Imperium ist etwas anderes, ja?<br />
Die Terroristen vergießen fremdes Blut,<br />
doch sie schonen ihr eigenes nicht! Sie opfern sich<br />
und dürfen darum auch von anderen Opfer verlangen. Sie töten einige wenige - für das<br />
Wohlergehen von Millionen! Wohingegen die, denen du zu Diensten bist, mit ihrem kalten,<br />
toten Froschblut, Millionen Menschen knechten und knebeln, damit es einem Häuflein<br />
Parasiten wohl geht!«<br />
»Knechten und knebeln, wenn ich das schon höre! B-b-... billige Rhetorik, weiter nichts«,<br />
sagte Fandorin<br />
müde und rieb sich die Nasenwurzel. Er bedauerte seinen Ausbruch bereits.<br />
»Rhetorik? Rhetorik?« Esfir japste vor Entrüstung. »Aha ... Soso ... Dann paß mal auf.« Sie<br />
griff nach einer auf dem Bett liegenden Zeitung. »Was ich gelesen habe, beim Warten<br />
auf<br />
dich. Moskauer Nachrichten*. In ein und derselben Nummer, auf einer Doppelseite. Zuerst<br />
hier, dieses brechreizerregend<br />
unterwürfige Gesäusel: Die Moskauer Stadtduma hat verfüg,<br />
Flügeladjutant Fürst Belosselski-Beloserski als dem Überbringer des Allergnädigsten Sendschreibens<br />
des<br />
Gottgesalbten an seine glücklichen Moskauer in Entgegnung ihrer untertänigsten Grußadresse, gewidmet<br />
dem Monarchen in Würdigung des bevorstehenden zehnten Jahrestages seiner Thronerhebung,<br />
zum Zeichen<br />
der Dankbarkeit einen Gedenkpokal zu stiften, der ... Puh, zum Kotzen ist das. Und gleich<br />
121<br />
gegenüber, bitte schön, das: Endlich hat das Bildungsministerium gehandelt und die strikte<br />
Einhaltung der Richtlinien zur Beschränkung der Universitätszulassung von Personen jüdischen Glaubens<br />
ohne Wohnrecht außerhalb des vorgeschriebenen Siedlungsrayons respektive eine Quotenlimitierung als Mindestmaßnahme<br />
angeordnet. Die Juden in Rußland - das wohl bedrückendste Erbteil, das uns vom nicht mehr<br />
existierenden Königreich Polen hinterblieben ist. Vier Millionen Juden halten sich im Imperium auf, was vier<br />
Prozent der Bevölkerung entspricht; der von<br />
diesem Geschwür ausgehende Pesthauch vergiftet unsere<br />
geheiligten ... Soll ich weiterlesen? Gefällt dir das? Oder hier: Die<br />
getroffenen Maßnahmen zur<br />
Überwindung<br />
der Hungersnot in den vier Bezirken des Gouvernements Saratow haben bislang nicht zum<br />
gewünschten Ergebnis geführt. Vielmehr steht zu befürchten, daß die Katastrophe in den Frühjahrsmonaten<br />
auch auf die benachbarten Gouvernements übergreift. Seine Eminenz Aloisi, Erzbischof von Saratow und