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Grin ließ Julie am Schlitten Wache stehen und schleppte die Säcke einzeln aus dem<br />
Zimmer. Zwei auf einmal ging nicht - er durfte das verletzte Handgelenk nicht<br />
unnötig<br />
belasten.<br />
Wohin mit dem Geld? Darüber dachte er erst nach, als sie dem »Indija« glücklich den<br />
Rücken gekehrt hatten.<br />
Es mit zum Treffpunkt zu nehmen, dem Stellwärterbüdchen beim Windauer Bahnhof,<br />
schien zu gefährlich. Der Ort war gut einsehbar,<br />
leicht konnte einer mitkriegen, wie er die<br />
Säcke hineinschleppte, und argwöhnen, daß es sich um gestohlene Fracht aus einem<br />
Güterzug handelte.<br />
In ein anderes Hotel? Mit den Säcken ließ man ihn nicht auf das Zimmer. Sie in<br />
Verwahrung zu geben - viel zu riskant.<br />
Julie hatte die Idee. Und das, obwohl sie die ganze Zeit, während er nachdachte, nichts<br />
gesagt und nichts gefragt hatte, einfach nur neben ihm gluckte in ihrem biederen Kleid. Auf<br />
einmal sagte sie: »Man könnte auf den Nikolaus-Bahnhof damit. Ich hab dort meine Koffer<br />
in der Gepäckaufbewahrung. Die hol ich ab<br />
und laß die Säcke dafür da. Dort herrschen<br />
strenge Sitten, da schnüffelt keiner in fremdem Gut. Und die Polizei kommt zuallerletzt<br />
darauf, daß das Geld vor ihrer Nase liegt.«<br />
»Ich kann dort<br />
nicht hin«, erklärte Grin. »Alles voll Spione.«<br />
»Mußt du ja nicht. Ich geb mich als Zimmermädchen aus, hol für meine Herrschaft die<br />
Koffer.<br />
Ich hab die Quittung. Und in den Säcken hat die Herrschaft ihre Bücher, werd ich<br />
sagen. Geht keinen was an. Du bist der Kutscher<br />
und bleibst im Schlitten, betrittst den<br />
Bahnhof gar nicht erst. Ich besorg Träger.«<br />
Von Julie geduzt zu werden war sonderbar und unange<br />
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nehm. Doch die Idee mit der Gepäckaufbewahrung ging in Ordnung.<br />
Vom Bahnhof fuhren sie ins Hotel »Kitesh«, nahe Krasnye worota - kein erstklassiges<br />
Haus, doch immerhin mit einem Telefon<br />
am Tresen, was für den Moment besonders<br />
wichtig war.<br />
Grin rief die Kontaktperson an. »Was ist?« fragte er nur.<br />
»Sind Sie es?« Nadels Stimme zitterte vor Aufregung. »Na Gott sei Dank. Geht's Ihnen gut?<br />
Haben Sie die Ware?« »Ja. Was ist mit den anderen?«<br />
»Alle wohlauf, außer Arseni, der ist krank geworden. Der konnte nicht mitkommen.«<br />
»War der Arzt da?« fragte er stirnrunzelnd.<br />
»Nein. War keine<br />
Zeit mehr.« Wieder das Zittern in der Stimme.<br />
»Geben Sie meinen Leuten am Windauer Bahnhof Bescheid. Sie sollen ins Hotel Kitesh<br />
kommen. Am Anfang der Basmannaja. Sie auch.<br />
Zimmer siebzehn. Bringen Sie Spiritus,<br />
Nadel und festen Faden mit.«<br />
Schnell war Nadel zur Stelle. Nickte Julie kurz zu, ohne richtig hinzusehen, obwohl sie ihr<br />
zum ersten Mal begegnete. Ihr ganzes Augenmerk galt Grins verbundenem Kopf, der<br />
überklebten Braue.<br />
»Schwere<br />
Verletzungen?« fragte sie trocken.<br />
»Nein. Haben Sie alles?«<br />
Sie stellte eine kleine<br />
Reisetasche auf dem Tisch ab.<br />
»Spiritus, Nadel und Faden, wie bestellt. Außerdem Mull, Watte, Binden und Pflaster. Ich<br />
habe eine Ausbildung bei den Barmherzigen Schwestern gemacht. Sie müssen mir nur<br />
zeigen, was ist, den Rest<br />
mache ich.«