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Er band Nadel los, zog ihr den Knebel aus dem Mund. Befeuchtete mit einem Taschentuch<br />
behutsam die blutenden Lippen.<br />
»Verzeihen Sie mir«, war das erste, was sie sagte, und gleich<br />
noch einmal: »Verzeihen Sie<br />
mir! Um ein Haar hätte ich Sie ins Verderben gerissen ... Ich war mir immer sicher gewesen,<br />
daß sie mich niemals lebend in die Finger kriegen. Aber vorhin, als sie mich packten und<br />
reinzerrten, da war ich wie gelähmt. Auch wie sie mich auf den Stuhl hier setzten, hätte ich<br />
die Möglichkeit noch gehabt. Die Nadel rauszuziehen und mir in den Hals zu bohren,<br />
meine ich. Tausendmal habe ich es mir vorgestellt. Und plötzlich ging es nicht ...«<br />
Sie schluchzte auf, Tränen rollten ihr über das blutunterlaufene Jochbein.<br />
»Es hätte nichts geändert«, suchte Grin sie zu beschwichtigen. »Wenn Sie es gemacht<br />
hätten, wäre ich trotzdem gekommen. Wozu also.«<br />
Die Erklärung schien Nadel nicht zu trösten, im Gegenteil. Nun liefen ihr die Tränen über<br />
beide Wangen.<br />
»Sie wären wirklich gekommen?« fragte sie.<br />
Die Frage ergab keinen Sinn. Grin antwortete nicht darauf.<br />
»Was war hier los?« fragte er. »Was hat Aronson?«<br />
»Das da ist Chrapows Wachgruppenführer«, erklärte Nadel, während sie sich zu fangen<br />
versuchte. »Erst dachte ich, er ist von der Geheimpolizei. Aber die benehmen sich anders.<br />
Der hier hat sich aufgeführt wie ein Wahnsinniger. Sie sind<br />
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schon seit gestern abend hier. Das konnte ich dem Gespräch entnehmen. Er wollte<br />
Sie<br />
unbedingt auf eigene Faust finden. Ganz Moskau hat er abgesucht Ihretwegen.« Ihre<br />
Stimme festigte sich allmählich, die Augen waren noch feucht, doch es flössen keine<br />
Tränen mehr.<br />
»Aronsons Wohnung muß schon seit Tagen von der Geheimpolizei<br />
überwacht worden sein. Vermutlich seit der Sache mit<br />
Rachmet. Und der«, sie deutete mit<br />
dem Kinn wieder auf die Leiche des Stabsrottmeisters, »hat den Agenten bestochen, der für<br />
die Überwachung zuständig war.«<br />
»Seydlitz«, sagte Grin. »Er heißt Seydlitz.«<br />
»Der Agent? Woher wissen Sie das?« fragte Nadel erstaunt.<br />
»Nein, der da«, meinte Grin schon ein wenig gereizt; zu viel Zeit verging mit überflüssigen<br />
Erklärungen. »Weiter.«<br />
»Gestern hat der Agent Seydlitz mitgeteilt, ich sei bei Aronson gewesen und mit einem<br />
Paket weggegangen. Der Agent ist mir nachgelaufen und hat mich verloren. Ich hab den<br />
Spürhund zwar nicht mitbekommen, bin aber zur Sicherheit auf der Pretschistenka in einen<br />
dieser vertrackten Höfe abgetaucht.<br />
Reine Routine.«<br />
Grin nickte. So verfuhr auch er.<br />
»Und als Seydlitz davon erfuhr, sind sie zu dritt hier bei Aronson aufgekreuzt. Er hat ihn die<br />
ganze Nacht gefoltert. Bis zum Morgen hat Aronson standgehalten, dann ist er eingeknickt.<br />
Ich weiß nicht, was die mit ihm gemacht haben, aber ... Sie sehen ja selbst. Er sitzt schon die<br />
ganze Zeit so da. Schaukelt und heult ...«<br />
Stieglitz kam vom Korridor hereingestürzt. Blaß, mit weit aufgerissenen Augen.<br />
»Tote!« rief er. »Und das bei offener Tür!«<br />
Als er sah, was im Salon los war, verstummte<br />
er.<br />
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»Mach sie zu«, sagte Grin. »Und zerr die Toten rein.« Dann wandte er sich wieder Nadel zu.<br />
»Was wollten sie?«