Hohenzollerlsche Heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
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Jahrgang 1967 HOHENZOLLE Ii ISCHE HEIMAT 11<br />
In der Not des Krieges 1914—18 wurden in Ringingen wie<br />
auch anderwärts den Bauern für ihre schwere Arbeit gefangene<br />
Russen zugeteilt. Sie waren in Jergamichels Haus<br />
(Kreben Nr. 35) untergebracht. Das Heimweh plagte sie jedoch<br />
ebenso, wie unsere Soldaten in fremden Ländern. Eines<br />
Nachts sind sie entflohen. Das gab am Morgen ein großes<br />
Geschrei: ,,D' Rueßa sind ausbrocha!" (Man sprach ihren<br />
Namen in Angleichung an den Ringinger Familiennamen<br />
„Rueß"!) Eine Suchaktion wurde eingeleitet und die Ausreißer<br />
tatsächlich in einigen Tagen bis auf einen, der fließend<br />
deutsch sprach, in der Mössinger Gegend wieder eingefangen.<br />
Sie hatten sich ja immer in der Nähe herumgetrieben und<br />
sagten auf Befragen, wo sie denn hin seien, sie wären „dr<br />
hinder dr hinder" gelaufen. Die Griffe eines auf dem Felde<br />
stehenden Pfluges hatten sie mit Kot beschmiert. Meines<br />
Dettes „Feodor", auch einer der Ausreißer, wurde zurückgebracht<br />
und dem bisherigen Herrn wieder zugestellt. Da<br />
jedoch niemand zu Hause war, setzte sich der hungriege<br />
Russe auf den „Haustrappen" und weinte wie ein Kind. Es<br />
war ein Bild des Erbarmens! An sich war er nämlich ein<br />
gutmütiger Bursche und hatte sich nur aus Heimweh den<br />
Abenteurern angeschlossen, war dann aber froh, daß der<br />
Dette ihn wieder aufnahm. Er hat fleißig gearbeitet und sich<br />
unter anderem an Samstagen, wenn die Haushaltungen nach<br />
alter Sitte die Hofräume und Gassen zu „fürben" pflegen,<br />
kräftig zugepackt und mit mir um die Wette, freilich auf der<br />
anderen Straßenseite mit Besen und Schaufel hantiert, bevor<br />
das „Beattläuten" uns Ruhe gebot und wir innehaltend<br />
unsere Kappen zogen. Damals hat man noch allgemein beim<br />
Avcläuiten und besonders am Donnerstagabend bei der „Todesangst<br />
Christi" mit der Arbeit eingehalten, weil man<br />
wußte, daß Schaffen allein ohne Segen von oben nichts<br />
nützen kann. Uebrigens nicht nur im Hof, sondern auch<br />
in der Stube wurden wir angehalten, der Mutter mit „Kairwisch"<br />
und Besen zu helfen und nach dem Spielen auch<br />
unsere Sachen wieder selber pünktlich aufzuräumen. Abends<br />
waren wir rechtschaffen müde, wenn wir um 9 Uhr das<br />
Weihwasser nehmend den Angehörigen Gute Nacht wünschten<br />
mit dem Anfügen „Schlofet gsund" und die Antwort<br />
erfolgte: „Wens Gotts Will ist, ihr au!" Da war man am<br />
andern Morgen frisch, um auch werktags die Messe zu besuchen.<br />
Faule Ausreden, die heute bei jung und alt üblich<br />
sind, gab es nicht.<br />
Am Sonntag, wo die Russen auch am katholischen Gottesdienst<br />
teilnahmen und durch ihr großes andächtiges Kreuzzeichen<br />
hier und beim Tischgebet auffielen, pflegten sie bei<br />
ihrer Unterkunft schwermütige Volksweisen in uns unverständlicher<br />
Sprache in mächtigen Akkorden zu singen. Es<br />
klang wie: „Ucher kupez unda lai malitjez, raia raiara, ucher<br />
kupez unda lai malijez." Unser Prokopee Malzef, den wir<br />
zu anderer Zeit zugeteilt erhielten, war ein Hüne von Gestalt<br />
und grobschlächtig. Trat gerade jemand in die Stube,<br />
wenn wir beim Essen waren und mit dem alten Wunsche<br />
„Gseang Gott" (Segne es Gott!) und wir antworteten „Gott<br />
Dank", dann wunderten sich jedesmal die Besucher über den<br />
Schilpen Brot, der so groß war wie ein „Roßzaih" (Roßhuf),<br />
den der Prokopee zu Knöpfle, Kraut und Fleisch noch zusätzlich<br />
„ums Numgucka" verdrückte. Ihm brauchte man<br />
wahrhaftig keinen gesegneten Appetit wünschen! Ob er<br />
wirklich bei der Arbeit so unbeholfen war oder sich nur so<br />
stellte, als verstehe er nichts, „Nix bonimai" hieß es gleich.<br />
Einmal fuhr er mit dem Ochsengespann zum Pflügen auf<br />
den Acker, den ich ihm zeigen sollte, ließ aber den Pflug<br />
daheim neben dem Beerengärtle stehen. Als Gymnasiast in<br />
den Ferien hatte ich den Fehler auch nicht bemerkt, meinte<br />
vielmehr, der Pflug stehe noch im Feld. (Unser Religionslehrer<br />
pflegte in solchen Fällen immer zu sagen: „Der Meiner<br />
ist ein Esel!") Es gab ein Donnerwetter über unsere „Dummheit".<br />
Nach dessen Abzug konnten wir immerhin einen<br />
Nachbarpflug benutzen.<br />
Ganz das Gegenteil zu unserem Prokopee wurde der uns<br />
später zugeteilte Franzose Ferdinand Philippon aus Tours,<br />
der Stadt des heiligen Martin, unseres Kirchenpatrons. Wir<br />
nannten ihn nur „Ferdi". Er war von mittlerer Größe mit<br />
schwarzem Haar und kleinem Schnurrbärtchen und zu allen<br />
Arbeiten willig und sehr geschickt. Angeblich von Beruf<br />
Weißputzer oder so etwas ähnliches — wir brachten es nie<br />
sicher heraus — brauchte er nur eine „G r a s s e a g e s" oder<br />
ein Habergeschirr zur Hand zu nehmen und schon<br />
konnte er damit mähen. Ebenso lernte er spielend das Dreschen<br />
mit dem Pflegel. Aus geschlitzten Haselstecken fertigte<br />
er überaus praktische und wohlgeformte Körbchen. In Haus<br />
und Stall und Acker wie auch in Scheuer und auf der Wiese<br />
war man mit ihm bestens versorgt, sobald man ihm eine<br />
Prokopee und Ferdinand<br />
Arbeit nur gezeigt hatte: Er konnte einfach alles!<br />
Neue Hauen- oder Rechenstiele bildeten für ihn kein Problem,<br />
ebenso wenig das Nachschlagen des Schafpferches zur<br />
Ackerdüngung. Wenn man bedenkt, wie damals fast alle<br />
Männer und Ledigen, wie auch mein eigener Bruder — der<br />
Vater war schon 10 Jahre tot — fern der <strong>Heimat</strong> im Krieg<br />
weilen mußten, begreift man die Nützlichkeit unseres Ferdi.<br />
Selbstverständlich rechneten wir ihn zur Familie, nicht wie<br />
es die Nazi im Hitlerkrieg mit den gefangenen Polen und<br />
Ukrainern machten, die zwar schaffen durften, aber nicht<br />
mit am Tisch essen! Ueberhaupt ging es schon damals nicht<br />
in mein Bubenhirn, warum man eigentlich mit andern Völkern<br />
Krieg führe. Wir kannten keinen Haß oder auch nur<br />
Abneigung gegen die Russen oder Franzosen. Wozu also die<br />
Menschen aus der <strong>Heimat</strong> wegholen und gegenseitig einander<br />
zu zerfleischen? Wer hatte denn Nutzen davon? Das gewöhnliche<br />
Volk am allerwenigsten, das man wie Schlachtvieh in<br />
den Kampf trieb. Und wenn man das unglückliche Kriegsende<br />
bedenkt oder den wenige Jahrzehnte später mutwillig<br />
vom Zaun gebrochenen Hitlerkrieg, eine Ausgeburt des Größenwahnsinns!<br />
Was hatten die Völker davon, außer einem<br />
Meer von Tränen und Blut?!<br />
Als Ferdi zu uns kam, lernte ich gerade am Gymnasium<br />
die ersten französischen Brocken und suchte sie in den Ferien<br />
anzuwenden. Das begeisterte auch meine Schwester Lisbeth<br />
und unsem Vetter Isidor diese Sprache zu lernen. Ein Buch<br />
hatte ich schnell besorgt, aber mit der Lernzeit und der<br />
Ausdauer haperte es. Der Ferdi konnte zudem in kurzer Zeit<br />
soviel deutsche Ausdrücke des täglichen Lebens, daß es überflüssig<br />
schien, französisch zu lernen. Das erste Wort lernte<br />
Ferdi bei der Stallarbeit. Als die Mutter die Kühe molk und<br />
diese immer mit dem Schwanz die Fliegen abwehrend ihr<br />
ins Gesicht wedelten, konnte sie im Unmut schimpfen: „Du<br />
Lumpatier, hairscht jetz amol auf!" Das hat der Franzos<br />
gleich aufgeschnappt und bald bei jeder Gelegenheit vom<br />
Lumpatier geredet. Einmal titulierte er sogar ohne böse<br />
Absicht meine Schwester. Es bedurfte einiger Mühe ihm klarzumachen,<br />
daß dies ein Schimpfwort und nicht für Menschen<br />
bestimmt sei. In helles Entzücken versetzte mich Dreizehnjährigen,<br />
als Ferdi mir aus „Kistabrittle" ein kleines Haus<br />
mit Windmühle bastelte, an der ein primitives Holzmännle<br />
unentwegt Holz sägte. „Unentwegt" ist freilich zuviel gesagt,<br />
denn der kleine Mann sägte nur, wenn „der Luft" ging, und<br />
dann mußte man auch das Häusle auf der Stange nach dem<br />
Wind stellen. Ich wurde um des Männleins willen viel beneidet,<br />
später, als Ferdi schon nicht mehr bei uns war, wollte<br />
ich „Dummine" einmal etwas ganz gescheites tun und<br />
schmierte die Welle der Windmühle zu besserem Lauf mit<br />
Karrensalbe. Der Erfolg war jedoch völlig negativ: Das Holz<br />
schwoll auf und die Welle drehte sich überhaupt nicht mehr.<br />
Es kostete ziemlich Mühe, den angerichteten Schaden wieder<br />
zu beheben. Ferdi muß daheim sehr vermöglich gewesen sein.<br />
Er bekam nämlich in Abständen immer wieder regelmäßig<br />
je einen großen Sack, gut 1 Meter hoch, voll von steinharten<br />
Bisquits in Mutschelgröße, nur nicht so hoch, die man mit<br />
dem Beil oder Hammer zerschlagen mußte. Jedoch in Kaffee<br />
oder Milch aufgeweicht ergaben sie ein herrliches Weißbrot.<br />
Wir alle durften daran unseren Teil haben und von den<br />
Ferien konnte ich sogar noch ein Paket voll mit nach Sigmaringen<br />
nehmen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf<br />
uns dann die Versetzung Ferdis an die Murgtalsperre, wo er<br />
als Spezialist gebraucht würde. Da hieß es Abschied nehmen;<br />
es war nichts zu machen. Statt des Franzosen erhielten wir<br />
wieder einen Russen, dessen Name mir entfallen ist. Er arbeitete<br />
leidlich gut, wurde aber bald gegenüber meiner<br />
Schwester frech und widerspenstig, sodaß ich einmal beim<br />
Abladen im Barn mit meiner Gabel mich bereit machen<br />
mußte, meiner bedrängten Schwester Lisbeth zu Hilfe zu<br />
kommen. Glücklicherweise kam dann die Mutter dazu.<br />
Etwa ein halbes Jahr nach Ferdis Versetzung, als ich schon<br />
wieder am Gymnasium weilte, gab es einen Auflauf im Ort.<br />
Der Hund des Hannes im Neuen Weg schlug im Heufelderweg<br />
an einem Haberfeld wütend an. Der Hannes ging dem<br />
Grunde nach und fand den Ferdi, der sich dort nach seiner<br />
Flucht aus' Murgtal versteckt hielt. Der Hundebesitzer wollte<br />
nun auch wie die Männer im Feld zum Endsieg beitragen<br />
und alarmierte als guter „Patriot" den Landjäger in Burladingen,<br />
der den Franzosen gefangen nahm und in den Ortsarrest<br />
im Rathaus steckte. Ferdi hatte sich, als er die Grenze<br />
nach seinem <strong>Heimat</strong>land nicht überschreiten konnte, bei uns<br />
im Land herumgetrieben. Als dann vor ihm die Zollerburg<br />
auftauchte, wußte er, da muß Ringingen irgendwo auf der<br />
Höhe liegen. Denn von hier aus sieht man den Bergkegel ja<br />
deutlich im Westen aufragen. Nun dachte er, da könne er