Hohenzollerlsche Heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV
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14 HOHEN Z Ö L LERISCHE HEIMAT Jahrgang 1967<br />
bei der Ungarischen Statthalterei und erfahrungsgemäß nicht<br />
vor einem halben Jahr zu erhalten sei (15. 6. 37). (Sie kam<br />
in diesem Falle niemals). Die Regierung fordert Sicherheit<br />
gegen eine Rückkehr der Auswanderer. Sehr vorsichtig stellt<br />
sie in Aussicht, man werde, „wenn die Kosten nicht unverhältsnismäßig<br />
hoch seien, der Gemeinde die Verwendung der<br />
notwendigen Mittel wohl gestatten können" (31. 5. 37).<br />
Die amtliche Förderung der Emigration kam nicht vom<br />
Fleck; alle Erinnerungen bleiben fruchtlos, so auch die des<br />
Gesandten in Wien auf seine Anfrage bei der Statthalterei<br />
in Ungarn. Einige Angehörige der Vagantenfamilien (Pius<br />
und Simon Kraft, Conrad Kleinmann) reisen 1838 mit Paß,<br />
aber ohne Entlassung, nach Ungarn und versuchen dort Fuß<br />
zu fassen in Preßburg, wo offenbar bereits Bekannte wohnen,<br />
wie sich aus dem unten mitgeteilten Brief ergibt.<br />
Pfarramt und Gemeinderat schicken unterdessen am 15. 1.<br />
1839 über das Oberamt ein bewegliches Schreiben an die<br />
Regierung, das wegen seiner Milieuschilderung hier auszugsweise<br />
mitgeteilt sei:<br />
„Man erwarte sehnlichst die Auswanderung der hiesigen<br />
Vagantenfamilien nach Ungarn, doch scheine die Aufnahme<br />
dort mit Schwierigkeiten verbunden! Es wäre also an der<br />
Zeit, für anderweitige Unterbringung der Vagantenkinder zu<br />
sorgen und Verpflegungs- und Erziehungsverträge abzuschließen.<br />
Allein Pfarramt und Gemeinde können sich nicht<br />
von der traurigen Voraussicht abbringen, daß hiesige Gemeinde<br />
vcn der immer drückenderen Last des in ihrer Mitte<br />
stationierten Vaganten-Gesindels mittels bloß vorübergehender<br />
Trennung der noch unerwachsenen Kinder nichts<br />
weniger als für die Dauer werde befreit werden.<br />
Wenn man bedenkt, daß die aus vier Familien bestehende<br />
Vagantenkolonie nicht weniger als 13 mannbare Mädchen<br />
zählt, unter denen 8 schon jedes 1, 2 oder 3 Kinder geboren<br />
hat und ohne Zweifel auch die noch übrigen 5 kinderlosen<br />
nach und nach ihre Beiträge liefern werden; wie kann wohl<br />
bei solcher Aussicht eine Entledigung für die Dauer erwartet<br />
werden?<br />
Bekanntlich ist die ehemalige Kapelle, die diesen Leuten<br />
als Wohnung eingeräumt wurde, für so viele Individuen dieser<br />
Kolonie viel zu beengt, als daß nicht der Geschlechtstrieb,<br />
abgesehen von auswärtigen Anlässen auf ihren häufigen<br />
Wanderungen, durch das unvermeidliche Zusammenwohnen<br />
mit Gewalt aufgeregt werden müßte. Der Pfarrer<br />
hatte schon öfter bei Krankenbesuchen die betrübende Gelegenheit,<br />
sehen zu müssen, wie aus Mangel an Raum die<br />
Betten sogar übereinandergeschichtet stehen, und groß gewachsene<br />
Burschen und Dirnen, unmündige Knaben und<br />
Mädchen, alle neben-, unter- und übereinander in der nämlichen<br />
Stube zusammengedrängt lagen! Mögen nun auch die<br />
unglücklichen Kinder vorübergehend von ihren Eltern (unwürdigen<br />
Namens) entfernt werden, so werden sie doch nach<br />
erstandener Lehrzeit wieder zurückkehren. Auch bleibt sehr<br />
in Zweifel, ob die eingefleischte Vagantennatur der in dieser<br />
mephytischen Cloake geborenen Kinder derart werde umgewandelt<br />
werden können, daß ihnen nie mehr die Lust ankommen<br />
dürfte, zu den Ihrigen zurückzukehren. Naturam<br />
expellas furca, tarnen usque recurret!<br />
So hat man vor mehreren Jahren den Matthäus S c h e c k 2 ),<br />
unehelichen Sohn der Maria Saible, einem Müller in die<br />
Lehre gegeben. Allein nirgends tut er als Geselle auf die<br />
Dauer gut, kommt alle Augenblicke zurück, und wurde seitdem<br />
als 20jähriger Bursche der Vater des dritten unehelichen<br />
Kinds der 30jährigen Anna Koch 3 ). Ebenso wurde der<br />
Knabe Matthäus Koch und dessen Schwester Elisabeth<br />
4 ) bei ehrbaren Familien untergebracht; allein nach<br />
kurzer Zeit entliefen sie wieder und nach wiederholten Aufnahmen<br />
zum 2. Mal.<br />
Es liegt also die Voraussicht nahe, daß das vorübergehende<br />
Unterbringen dieser Kinder nur ein Palliativum und einseitige<br />
Abhilfe gewähren würde, weil immerhin zur Rückkehr<br />
der auswärts Unbrauchbaren, Erkrankten, Unzufriedenen<br />
pp. eine Tür offen bliebe und auch dahier offenbleiben<br />
müßte.<br />
Nach allseitiger und reiflicher Erwägung der Sachlage<br />
können daher Unterzeichnete einzig in der Voraussetzung<br />
sämtlicher Vagantenfamilien von hier auf ganz fremden<br />
Boden weit entfernter Gegenden eine radikale Entledigung<br />
erblicken. Die Gemeinde dahier ist mit größter Bereitwilligkeit<br />
entschlossen, um jeden Preis diesen Zweck zu erreichen,<br />
und um so mehr, als die betreffenden Familien<br />
selbst mit aller Ungeduld auf ihre baldmöglichste Auswanderung<br />
drängen."<br />
Das Oberamt möge daher „bei der Landesregierung in<br />
Antrag bringen, von der Versetzung einzelner Vagantenkinder<br />
abzugehen, dagegen stützende Hand zu gewähren,<br />
sämtliche Vaganten mittels Auswanderung in weit entfernte<br />
Gegenden zu entfernen." Benzingen sei noch 1835 eine<br />
Familie nach Polen losgeworden, deren ökonomischer Verfall<br />
große Belästigung zu bringen drohte; könnte nicht hier<br />
ebenso eine Auswanderung' nach Polen bewirkt werden, wo<br />
die Aufnahme weniger schwieriger sei als in Ungarn? „Da<br />
diese Familien wegen gänzlicher Mittellosigkeit sich in keinem<br />
fremden Land mittels Ankauf häuslich niederlassen<br />
könnten, so bleibt kein anderer Ausweg übrig, als daß die<br />
Gemeinde einen Teil der erforderlichen Ankaufssumme auf<br />
sich übernehme, was sie auch bereitwillig tun wird." Man<br />
möge aber auch die Landeskasse, den Landesspitalfond und<br />
den Armenfond des Oberamts zur Beteiligung an den Auswanderungskosten<br />
bewegen, denn „sie würden bei Verbleiben<br />
dieser Familien und ihrer immer zahlreicher werdenden<br />
Nachkommen in Anspruch genommen werden", während sie<br />
„bei Auswanderung für ewige Zeiten von ferneren Beiträgen<br />
befreit werden."<br />
Hierauf bemerkt die Landesregierung (27. 2. 39), sie könne<br />
sich nicht unmittelbar für die Auswanderung verwenden,<br />
würde aber eine solche gegebenenfalls nach Möglichkeit unterstützen.<br />
Die Auswanderung nur einzelner Personen aus<br />
diesen Familien dürfe indessen nicht mit so großen Kosten<br />
erkauft werden, wie sie im Fälle Simon Kraft und Gen.<br />
erforderlich wären. - Bezüglich der zur Erziehung zu gebenden<br />
Kinder sei inzwischen zu verfahren wie bei anderen<br />
dieser Kategorie. •— Aus der Eingabe des Pfarramts und<br />
Ortsgerichts gehe übrigens hervor, daß für die Wohnung<br />
dieser Leute nicht gehörig gesorgt ist, und daß dadurch ihr<br />
moralisches Verderben noch mehr befördert wird. Das Oberamt<br />
wird „nachdrücklichst angewiesen, diesem Gegenstand<br />
seine besondere Aufmerksamkeit zu widmen und die Gemeinde<br />
streng anzuhalten, daß den Zugewiesenen solche<br />
Wohnungen verschafft werden, welche dem lebhaft ausgesprochenen<br />
Tadel des Pfarramts und Gemeinderats nicht<br />
unterliegen und die aus Rücksicht der Moralität nötige Absonderung<br />
gestatten." Bis 1. September erwarte man Erfolgsbericht.<br />
Das Oberamt gab zwar die Rüge an die Gemeinde weiter,<br />
aber diese veranlaßte in Erwartung baldiger Auswanderung<br />
wohnungsmäßig nichts, konnte es auch wohl kaum, da ihr<br />
alle Handhaben fehlten, etwa Zwangseinquartierungen anzuordnen.<br />
So unbegründet war die Hoffnung der Gemeinde auf<br />
Auswanderung nicht. Denn inzwischen waren Pius und Simon<br />
Kraft sowie Conrad Kleinmann und Marianne Saiblin<br />
nach Preßburg gereist und hatten versucht, dort für ihre<br />
Familien Wohnungen zu beschaffen: Ohne jegliche Mittel<br />
schlossen sie dort einen vor dem Gericht der Schloßhauptmannsherrschaft<br />
unterm 13. 7. 1838 verlautbarten Kaufvertrag<br />
über ein Haus, das ihnen Engelbert Hauser und dessen<br />
Ehefrau Apollonia um 4600 fl W W 5 ) verkaufte; davon sollten<br />
200 fl alsbald bar gezahlt werden, der Rest bei Uebergabe<br />
Michaeli d. J.; bis dahin sollte der Verkäufer sein Quartier<br />
räumen. Als Reugeld für Nichterfüllung war für beide Seiten<br />
200 fl vorgesehen. Die Käufer erwarteten, die Gemeinde<br />
Benzingen werde den Kaufschilling übernehmen entsprechend<br />
der Weisung der Landesregierung. Das will sie aber<br />
nur, wenn alle (damals) 35 Köpfe der 4 Familien durch diesen<br />
Kauf die Ansicdlung und das Bürgerrecht in Ungarn erreichen;<br />
nach Auskunft des Fiscalatamts der Schloßhauptmannschaft<br />
Preßburg sei das aber nicht möglich. (Bericht OA.<br />
vom 20. 1. 39.) Pässe nach Ungarn beantragen nun Therese<br />
Kleinmann für sich und ihre 2 Kinder und für ihre minderjährigen<br />
Geschwister Jacob und Justine 6 ), Monika Koch 7 )<br />
und Simon Kraft 8 ), d. s. 7 Personen (21. 2. 39). Jacob Kleinmann<br />
war bereits militäruntauglich geschrieben; der Schwester<br />
Justine bescheinigt der Pfarrer, daß sie wegen häufiger<br />
Abwesenheit die Schule und Christenlehre nur unregelmäßig<br />
besucht habe, daß aber über ihren sittlichen Zustand bisher<br />
nichts auffallendes bekannt sei. Es lasse sich aber bei Fortbestand<br />
der bisherigen Verhältnisse nichts erfreuliches erwarten.<br />
Die gleiche Bemerkung macht er zu Monika Koch.<br />
Den beiden Mädchen der Therese Kleinmann 9 ) bescheinigt<br />
er, daß sie fleißig und klaglos die Schule besuchten. Er bittet,<br />
„daß allen Individuen die Abreise in weit entfernte Gegenden<br />
gestattet werde."<br />
Die Regierung (27. 2. 39) ordnet Ausfertigung eines anderen<br />
Sammelpasses an, da Ursula Kleinmann nicht mit der Mutter<br />
fortreisen dürfe, sondern zum Schulbesuch angehalten werden<br />
müsse. Obwohl die Mutter Therese Kleinmann erklärt,<br />
sie reise nicht ohne ihre Tochter und werde die Auswanderung<br />
unterlassen, wenn ihre Tochter nicht mitdürfe, lehnt<br />
die Regierung (3. 5. 39) den Paß für Ursula Kleinmann ab,<br />
„da es sich nicht um eine Auswanderung nach vorheriger<br />
Aufnahme in einem fremden Staat handelt, sondern um eine<br />
Reise, deren Erfolg noch sehr zweifelhaft sei."<br />
Im übrigen stellt man bei dieser Gelegenheit fest, daß<br />
gegen niemand dieser Familien etwa eine Strafe wegen