Ulrich Roehm - Fördervereins Tanzkunst Deutschland
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BM: Ich hatte immer eine unstillbare Neugier nach der<br />
in der Welt existierenden Vielfalt von Tanzkulturen und das,<br />
was ihre jeweiligen zeitgenössischen Vertreter als künstlerisch<br />
gestaltete Interpretation ihrer Lebensauffassung anzubieten<br />
hatten. <strong>Tanzkunst</strong> auf Ballett zu beschränken, war für<br />
mich inakzeptabel. Die Verbindung des Tanzes mit anderen<br />
Künsten war für mich eine Selbstverständlichkeit, jedoch auf<br />
künstlerischer, ökonomisch autonomer Basis und nicht als Ersatzrad<br />
in der Programmatik eines Stadttheaterbetriebs. Für<br />
mich entscheidend ist, ob der Künstler sich als Choreograph<br />
identifiziert, d. h. sich mit der künstlerischen Gestaltung das<br />
Verhältnis von Raum und Zeit »ad hominem« auseinandersetzt.<br />
DEF: Wie würdest Du das übergeordnete Ziel Deiner Arbeit<br />
formulieren?<br />
BM: Als künstlerischer Leiter, aber auch Psychotherapeut,<br />
interessiert mich die künstlerisch geformte Konkretion innerseelischer<br />
und äußerer Konflikte einer Einzelperson oder<br />
einer Gruppe, sofern sie sich mit den aktuellen Gegebenheiten<br />
und Konflikten auseinandersetzt. Zeitgenössische Kunst<br />
ist für mich eine Objektivierung dieser inneren und äußeren<br />
Konflikte. <strong>Tanzkunst</strong> ist Auseinandersetzung und Überwindung<br />
der in unserer Tanzkultur vorgegebenen ästhetischen<br />
Sprache. Am Tanz interessiert mich vor allem, dass es jemand<br />
vermag, nicht nur Material (geschulter Tänzer) eines schöpferischen<br />
Willens (Choreograph) zu sein, sondern in einem<br />
vergänglichen, selbstbeantwortenden fortlaufenden Prozess<br />
durch den eigenen Leib von Moment zu Moment, in Anwesenheit<br />
von Publikum, letztendlich eine Wiedervereinigung<br />
von Schöpfer und Geschöpf im selbstschöpferischen Künstler,<br />
dem meine ganze Bewunderung gilt.<br />
DEF: Worauf bist Du stolz?<br />
BM: Darauf, dass eine postmoderne Idee der Vielfalt der<br />
Wahrheiten auch in der <strong>Tanzkunst</strong> im »tanzhaus nrw« seine<br />
täglich erlebbare, lebendige Form gefunden hat, dass unsere<br />
Interview mit Bertram Müller<br />
Graswurzelinitiative überlebt hat und sogar lokal und überregional<br />
nach vielfältig erlebten Abwertungen schließlich Anerkennung<br />
gefunden hat, wir inzwischen mehr als 3.000 Besucher<br />
jede Woche zufrieden nach Hause schicken und, last but<br />
not least, rund 100 Personen, inklusive Dozenten, einen dauerhaften<br />
und Sinn gebenden Arbeitsplatz gefunden haben.<br />
DEF: Ein konkretes Beispiel aus dem Unterrichtsangebot,<br />
was steckt hinter »Ladies Attack«?<br />
BM: Das Konzept »Ladies Attack« ist Ausdruck unserer Bemühungen,<br />
die von der jungen Generation weltweit initiierte<br />
Hip-Hop-Bewegung, die bisher überwiegend eine männliche<br />
Domäne war, als Tanzform für Frauen zugänglich zu machen<br />
bzw. deren inzwischen eigenständige Ästhetik ernst zu nehmen<br />
und öffentlich zu präsentieren.<br />
DEF: 2013 wird Dein finales Jahr als Intendant am »tanzhaus<br />
nrw«, wie wurde die Nachfolge geregelt?<br />
BM: Auf meine Initiative hin wurde durch den Vorstand<br />
des Trägervereins eine Findungskommission eingesetzt, die<br />
aus Choreographen, Pädagogen, aber auch kulturpolitischen<br />
Vertretern des Landes NRW und der Stadt zusammengesetzt<br />
war. Von dieser wurde Bettina Masuch einstimmig empfohlen.<br />
Diese Empfehlung wurde nicht nur von unserem Vorstand,<br />
sondern auch von mir und unserem Team mit voller<br />
Überzeugung bestätigt. Als Gründer und seit 35 Jahren Leiter<br />
von »die werkstatt e. V.«, ab 1998 tanzhaus nrw, war mir bewusst,<br />
dass das programmatisch breit aufgestellte »tanzhaus<br />
nrw« mit seinen vier Abteilungen Bühne, Bildung, Produktion<br />
und kulturelle Kommunikation sowie der Abteilung »Tanz für<br />
junges Publikum«, mit seiner internationalen Vernetzung und<br />
vor allem als freier Träger mit sehr begrenzten öffentlichen<br />
Mitteln nicht einfach zu besetzen ist. Dass dies rechtzeitig<br />
und überzeugend gelungen ist, erleichtert mir Ende 2013,<br />
mein Amt abzugeben – um danach zu entdecken, wer ich<br />
sonst noch bin und wohin in der Tanzwelt meine Neugier<br />
mich treibt. ■<br />
(Fotos: tanzhaus nrw e.V.)<br />
Ballett Intern 5/2012 7