Ulrich Roehm - Fördervereins Tanzkunst Deutschland
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Vor 20 Jahren verstarb Gerhard Bohner Nachruf: Dietmar Fritzsche<br />
Auf dem Weg<br />
der Erkenntnis<br />
Die Akademie der Künste Berlin erinnerte<br />
an Gerhard Bohner zu seinem 20. Todestag<br />
von Volkmar Draeger<br />
Ein bitterer Tag für den Tanz, der 13. Juli 1993. Zwar war<br />
Gerhard Bohners AIDS-Erkrankung zumindest Eingeweihten<br />
bekannt, dennoch traf sein Tod viele schmerzlich. Bis kurz zuvor<br />
war man ihm, dem bereits sichtlich Geschwächten, noch<br />
als Zuschauer bei Gastspielen in der Akademie der Künste begegnet.<br />
Selbst tanzen konnte er da längst nicht mehr, schien<br />
im Gesicht noch herber, kantiger als gewohnt; sein Interesse<br />
am Tanz und an Gesprächen darüber indes war nach wie vor<br />
lebendig. Es war die Akademie am Hanseatenweg, die der<br />
Ausnahmefigur unter <strong>Deutschland</strong>s wenigen Solokünstlern in<br />
für dieses Genre schwerer Zeit künstlerisches Asyl, Aufträge<br />
und Auftrittsmöglichkeiten bot. Zum 20. Todestag erinnerte<br />
unter der Rubrik »Archivfenster« eine Ausstellung an seine<br />
wohl intensivste, ertragreichste Phase. Nicht in seiner angestammten<br />
Akademie im Tiergarten waren die drei gehaltvollen<br />
Vitrinen zu besichtigen, sondern in der Dependance am Pariser<br />
Platz. In drei Teile, wie sie für Bohners Entwicklung wichtig<br />
waren, gliederte sich die kleine Schau und erfasste dennoch<br />
ein ganzes Leben für den Tanz. »Vom Tänzer zum Choreographen<br />
zum Tänzer« führte ihn gleichsam sein Weg.<br />
Um die Anfänge kreiste die erste Vitrine. Prägende Pädagogen<br />
für den 1936 in Karlsruhe Geborenen wurden Mary Wigman,<br />
deren Berliner Studio er besuchte, und Tatjana Gsovsky.<br />
Sie, damals Chefchoreographin an der Deutschen Oper, in<br />
ihrer Leistung lange unterschätzt, holte ihn 1961 in ihr Ensemble,<br />
setzte ihn zehn Jahre vielseitig ein. Als libellenhaft<br />
flatternder Zauberer in »Labyrinth der Wahrheit« ist er im Foto<br />
zu sehen und als König Marke in »Tristan«, hier in seiner Ausdruckskraft<br />
schon eher Fremdkörper neben dem Ballett-Étoile<br />
Gerd Reinholm. In einem Brief mit demonstrativer Kleinschreibung<br />
widmet Bohner seine erste wichtige Choreographie seiner<br />
Mentorin Gsovsky, von der er sich immerhin unter Protest<br />
getrennt hatte. Jene »Folterungen der Beatrice Cenci« nach einem<br />
Kriminalfall von 1598 zeigten, wie Tortur den Menschen<br />
manipuliert, suchten Bezug zur Gegenwart, wurden als »Ballett<br />
der Grausamkeit« ein veritabler Erfolg: Einstudierungen<br />
auch in München, Darmstadt und Bremen, mit insgesamt 46<br />
Aufführungen Rang 5 der Spielplanstatistik 1973/74.<br />
Freilich interessierte Bohner keine historische Reminiszenz;<br />
in Jeans hantieren Männer mit der Gefolterten, die in einem<br />
Käfig herabsinkt, mit Bohner selbst unter den radikalen Schergen.<br />
Die Kritik ging wenig gnädig auch mit dem Choreographen<br />
um, was sein Schicksal lebenslang sein sollte. Schlaksiger,<br />
schwarzhaariger Mittdreißiger ist er da, notiert sich<br />
Schrittfolgen in eigener Schreibweise, Bühnen- und Beleuchtungsskizzen,<br />
einen Ablaufplan in 15 Punkten. Zur Choreographie<br />
hatte es Gerhard Bohner bereits 1964 gezogen; sie ließ<br />
ihn fortan nicht mehr los und brach sich bis 1989 in 22 meist<br />
an der Akademie der Künste uraufgeführten Werken Bahn.<br />
In seine Zeit als Chefchoreograph in Darmstadt von 1972 bis<br />
1975 fällt Bohners Hinwendung zu Oskar Schlemmer und dessen<br />
tänzerischen Experimenten am Bauhaus. Den 2. Preis beim<br />
Choreographen-Wettbewerb Köln sowie den Preis vom Verband<br />
der Deutschen Tanzkritiker hatte er da schon erhalten. In<br />
seiner Interpretation lebten Schlemmers Recherchen um den<br />
Menschen im Raum, begrenzt und gleichermaßen verstärkt<br />
durch Requisiten wie Reifen und Stäbe, neu auf. »Bohner tanzt<br />
Schlemmer« hieß eines der bühnenpraktischen Ergebnisse,<br />
»Bauhaustänze – Abstrakte Tänze« dann die um eigene Kreationen<br />
erweiterte Version. Auch hier reagierte im Unterschied<br />
zum Publikum die Kritik negativ. Bohners Rekonstruktion des<br />
»Triadischen Balletts«, Schlemmers berühmtester Schöpfung,<br />
erlebte von 1977 bis 1989 im In- und Ausland 81 Aufführungen.<br />
Wer jenes faszinierende Zusammenspiel von Form und<br />
Bewegung gesehen hat, mit renommierten Interpreten wie<br />
Ivan Liška und Colleen Scott, wird sich gern erinnern.<br />
Bohners produktivste Phase begann 1981, als er Bremen,<br />
wo er mit Reinhild Hoffmann das Tanztheater leitete, zugunsten<br />
von Berlin verließ. Als freier Choreograph brillierte er fortan<br />
mit Soloprogrammen, Interpret seiner eigenen Erfindung.<br />
Kein Tänzer zwinge ihn mehr zu Änderungen, äußerte er, auch<br />
kein Zeitdruck fordere ihm Zugeständnisse ab. Kompromisslos<br />
fiel aus, was er präsentierte, beginnend mit »Schwarz weiß<br />
zeigen« 1983, weniger Tanz als sichtbar gemachte Vorstellung<br />
von Choreographie, wie er selbst sagte. Sein Solo »Im (Goldenen)<br />
Schnitt I – III« von 1989 in jeweils anderem Bühnenraum,<br />
wie Künstler ihn für Bohner entwarfen, wurde nachgerade<br />
künstlerisches Vermächtnis, ein 24-teiliger Zyklus von maximaler<br />
Formstrenge, zudem eine grandiose Zusammenschau einfachster<br />
Bewegungsmöglichkeiten, reduziert auf tänzerische<br />
Urbewegung. In der eigen gearteten Wiederaufnahme durch<br />
den Spanier Cesc Gelabert lebt der Zyklus fort. �<br />
Bescheidenheit in Person<br />
Nachruf auf den Tanzjournalisten Dietmar Fritzsche<br />
von Hartmut Regitz<br />
Dietmar Fritzsche erklärte sich seinen<br />
Namen als Nachkomme des Alten<br />
Fritz. Daraus allerdings eine Führungsrolle<br />
abzuleiten, lag ihm fern. Lieber<br />
stellte er sich in den Dienst der Sache,<br />
und anstatt deren Macher verächtlich<br />
zu machen, was heute offenbar zum<br />
kritischen Ton gehört, fühlte er sich<br />
erst einmal in ihre Arbeit ein, bevor<br />
er sie kritisch beäugte. Das setzte natürlich eine geschärfte<br />
Beobachtungsgabe voraus, ein Wissen um die Zusammenhänge<br />
und vor allem Maßstäbe, die seinen Lesern als Orientierung<br />
dienten.<br />
Über all‘ das verfügte der gebürtige Dresdner aufgrund<br />
einer »bewegten« Geschichte. Zwei Jahre lang war Fritzsche<br />
Musiklehrer, nachdem er zuvor erst Schulmusikerziehung<br />
in Weimar und anschließend Musikwissenschaft in<br />
Halle studiert hatte. Einschlägige Theaterpraxis sammelte er<br />
als Musikdramaturg in Freiberg und Cottbus, und die war<br />
ihm später als Erfahrungswert beim Berliner Henschel Verlag<br />
38 Ballett Intern 5/2012<br />
(Foto: privat)