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Ulrich Roehm - Fördervereins Tanzkunst Deutschland

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Inge Stoffers ist 90<br />

Viel Rauch um<br />

eine Ballettschule<br />

Inge Stoffers zum 90. Geburtstag<br />

von Dagmar Ellen Fischer<br />

»Lieber Gott, ich möchte bis 30 tanzen, bitte nicht<br />

heiraten!« (Zitate aus: Alice Wanke, Inge Stoffers,<br />

»Ich war so beschäftigt mit der Tanzerei«, Erinnerungen<br />

an ein Leben mit dem Tanz, Münster 2008; S. 18)<br />

So klang das Nachtgebet der Inge Stoffers, als sie ein kleines<br />

Mädchen war. Tatsächlich ging dieser Wunsch – sie heiratete<br />

im Alter von 32 Jahren – in Erfüllung, wie so manch‘ anderer<br />

Traum auch. Am 17. Oktober 2012 feierte die Tänzerin und<br />

Tanzpädagogin ihren 90. Geburtstag in ihrer Heimatstadt<br />

Wilhelmshaven.<br />

Das Lieblingsspiel der kleinen Inge war die Beschäftigung<br />

mit sogenannten Sammelbildern, die Zigarettenpackungen<br />

beilagen. Auch zu Tanz und Ballett gab es Bilderserien, und<br />

hier begegnete sie erstmals den Tänzerinnen Fanny Elßler<br />

und Anna Pavlova auf Briefmarkengroßen Schwarz-Weiß-<br />

Fotographien. Ihre Mutter nähte Kostüme, um das Haushaltsgeld<br />

der Familie aufzubessern, und zwischen diesen drapierten<br />

Kleidern ließ sich wunderbar umher springen, bis die<br />

Stoffe flogen. Diesen Flattertanz sah eines Tages die Leiterin<br />

der Tanzschule Klemmsen, die eigentlich Kostüme in Auftrag<br />

geben wollte; sie lud die Fünfjährige spontan zu einer Probestunde<br />

in ihr Kinderballett ein. Inge Stoffers sagte zu, »obwohl<br />

ich gar nicht wusste, was Tanzen war«,(S. 21) erinnert<br />

sie sich Jahrzehnte später. Aber es gefiel ihr, und so nahm sie<br />

Ballettunterricht, noch bevor sie eingeschult wurde. Sie blieb<br />

dabei und tanzte während ihrer Grundschulzeit sowie später,<br />

als sie aufs Gymnasium ging. Ihre Mitschüler erfuhren von<br />

ihrer Tanzleidenschaft durch öffentliche Aufführungen der<br />

Schule und bewunderten sie, von ihrem Mathematik-Lehrer<br />

hörte sie hingegen eine abfällige Bemerkung wie »Ja, ja, Inge<br />

Stoffers, Spitzentanz ist leichter als Mathe.« (S. 23) Fast zehn<br />

Jahre konnte Inge Stoffers trainieren, ohne einen Pfennig bezahlen<br />

zu müssen, aufgrund ihrer Begabung wurde sie gefördert:<br />

»Meine Eltern hätten den Unterricht auch gar nicht<br />

bezahlen können.« (S. 27)<br />

Im Alter von 14 Jahren ergab sich über Inges Vater ein<br />

Kontakt zu Lisa Parsick, Ballettmeisterin am Stadttheater Wilhelmshaven.<br />

Sie bot ihr nicht nur an, gemeinsam mit den<br />

professionellen Tänzern kostenlos zu trainieren, sondern<br />

sogar einzuspringen, wenn eine Tänzerin des nur sechsköpfigen<br />

Ballett-Ensembles ausfiel. Solche Einsätze ergaben<br />

sich ausschließlich kurzfristig und gingen ziemlich hektisch<br />

über die Bühne; Inge Stoffers wurde mit einem Taxi abgeholt<br />

und ins Theater chauffiert. »Da geschah dann Folgendes:<br />

Ich wurde in die Garderobe geschickt, geschminkt, und<br />

während ich geschminkt wurde, zeigte mir meine Lehrerin<br />

den ersten Tanz, (…). Ich wurde ins Kostüm gesteckt und<br />

schon musste ich raus auf die Bühne, ohne Probe. Ich tanzte,<br />

kam dann wieder in die Garderobe und wurde umgezogen<br />

für den nächsten Tanz. Die Lehrerin zeigte mir wieder die<br />

Schritte und so ging das immer weiter.« (S. 28) Das ist nur<br />

machbar mit einer Tänzerin, die über viel Talent,<br />

eine schnelle Auffassungsgabe, Musikalität und die<br />

nötige Portion Besessenheit verfügt.<br />

Die Pädagogin Lisa Parsick nahm Inge Stoffers<br />

im Sommer des Jahres 1937 mit nach Berlin und<br />

stellte sie Tatjana Gsovsky vor. Die berühmte Tänzerin,<br />

Ballettmeisterin und Choreographin erlaubte<br />

ihr zunächst, während der Sommerferien unent-<br />

Inge Stoffers, 2007 geltlich am Unterricht in ihrer renommierten Ballettschule<br />

teilzunehmen. »Es ist unglaublich, wenn<br />

man aus einer kleinen Stadt wie Wilhelmshaven in die Hauptstadt<br />

Berlin kommt. Dazu dann die ganze Atmosphäre in der<br />

Ballettschule. Dort waren ja alle schon fertige professionelle<br />

Tänzer, Schüler gab es kaum.« (S. 37) Nach Ablauf des<br />

Sommerkurses bietet Gsovsky der talentierten Schülerin eine<br />

Ausbildung an, ebenfalls unentgeltlich. Und so beginnt Inge<br />

Stoffers ein Jahr später in Berlin die Ausbildung zur Tänzerin;<br />

ihre schulische Laufbahn beendet sie im Alter von 16 Jahren<br />

nach der zehnten Klasse. Was folgt, ist eine harte Zeit, mit<br />

mehrstündigem Training am Vormittag und Nachmittag und<br />

allabendlicher Erschöpfung.<br />

Kurz vor Inge Stoffers‘ 17. Geburtstag bestand ihr Vater<br />

– gegen Gsovskys Rat und Einschätzung – darauf, seine<br />

Tochter zur Prüfung anzumelden, sie soll als Tänzerin engagiert<br />

werden und zum Unterhalt der Familie beitragen. Am<br />

26. August 1939 bestand sie die Prüfung, die allerdings mit<br />

Ballett wenig zu tun hatte. Der theoretische Teil beinhaltete<br />

Fragen wie »wo wohnt der Führer? – die erwartete Antwort<br />

»im Herzen aller Deutschen« hatte sich zum Glück unter den<br />

Prüflingen herum gesprochen. Im praktischen Teil des Fachs<br />

Klassischer Tanz war es dem linientreuen Prüfer gelungen,<br />

die französischen Fachbegriffe zu eliminieren, so hieß ein petit<br />

jeté beispielsweise »kleines Steh’« – ohne Worte!<br />

Der Zweite Weltkrieg veränderte den Alltag und das Leben<br />

vieler Menschen ab September 1939. Dennoch gelang es Tatjana<br />

Gsovsky, 1940 eine Tanzgruppe zusammen zu stellen,<br />

der auch Inge Stoffers angehörte. Mit ihrem ersten Auftritt im<br />

Oktober 1940 im berühmten Berliner Varieté » Wintergarten«<br />

datiert Inge Stoffers den Start ihrer professionellen Karriere.<br />

Engagements in Magdeburg und Salzburg schlossen sich an.<br />

Absurde Blüten trieb die politische Marschrichtung auch in<br />

der Kunst, so musste sich das »Tatjana-Gsovsky-Ballett« in<br />

Fünf Tänzerinnen des »Preciosa«-Ensembles, der von Inge Stoffers in den<br />

1950er Jahren gegründeten Compagnie<br />

18 Ballett Intern 5/2012

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