Ulrich Roehm - Fördervereins Tanzkunst Deutschland
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Ballettkomponist –<br />
Auszeichnung,<br />
nicht Schimpfwort<br />
Nachruf: Hans Werner Henze<br />
von Dagmar Ellen Fischer<br />
»Der Tod hat einen Klang, wie er sich schon im Vorspiel zu<br />
diesem letzten Akt andeutete, lautes schmerzvolles Rufen,<br />
das hier nun schnell verebbt, die abschließende ganz leise<br />
Ekloge vorbereitend, eine unbewegte Musik, (…)« 1 So lautet<br />
ein Tagebucheintrag Hans Werner Henzes zur letzten Szene<br />
seiner Ballettkomposition »Undine«. Damals komponierte er<br />
den Tod, damit er getanzt werden kann. Am 27. Oktober<br />
2012 starb der bedeutendste zeitgenössische deutsche Komponist<br />
im Alter von 86 Jahren in Dresden. Kurz zuvor, am<br />
13. September 2012, fand mit der Aufführung seiner Oper<br />
»We come to the River« die erste Premiere der Spielzeit in der<br />
Semperoper statt – in Anwesenheit des Künstlers.<br />
Sein musikalisches Schaffen brachte weit über 300 Werke<br />
hervor, darunter allein zehn Sinfonien. Und: Er war Ballettkomponist,<br />
eine Bezeichnung, die er keineswegs als Schimpfwort<br />
empfand – wie noch Tschaikowsky nur wenige Jahrzehnte<br />
vor ihm. Am 27. Oktober 1958 wurde seine »Undine«<br />
in London mit dem Royal Ballet uraufgeführt, das Auftragswerk<br />
entstand in enger Abstimmung mit dem englischen<br />
Choreographen Frederick Ashton, Margot Fonteyn tanzte<br />
damals das filigrane Wasserwesen. Eigene Choreographien<br />
zu Henzes Komposition schufen Tatjana Gsovsky (1959),<br />
Erich Walter (1962), Tom Schilling (1970), Heinz Spoerli<br />
(1978) und John Neumeier (1994). Das zweite abendfüllende<br />
Werk für Ballett komponierte Henze 1979: »Orpheus« wurde<br />
mit dem Stuttgarter Ballett uraufgeführt, William Forsythe<br />
choreographierte. Und auch diese Musik regte zu weiteren<br />
tänzerischen Interpretationen an, Ruth Berghaus gestaltete<br />
sie 1986 in Wien, und erneut Heinz Spoerli in Basel 1988.<br />
Dessen Version des Stoffes stand 2001 auf dem Programm,<br />
als Hans Werner Henze den Deutschen Tanzpreis erhielt, und<br />
zwar mit folgender Begründung: »Mit seinem unter den<br />
Komponisten unserer Zeit selten gewordenen Bekenntnis<br />
zum Bühnentanz als künstlerischer Ausdrucksform und mit<br />
seinem Streben nach einer zeitgemäßen Ballettmusik hat<br />
sich Hans Werner Henze in außerordentlicher Weise um<br />
den künstlerischen Tanz verdient gemacht.«<br />
Als Sohn eines Dorfschullehrers wurde Hans Werner Henze<br />
am 1. Juli 1926 im westfälischen Gütersloh geboren, als<br />
erstes von sechs Kindern. Sein Vater, ein bekennender Nationalsozialist,<br />
soll die Homosexualität seines jugendlichen<br />
Sohnes mit den Worten kommentiert haben, so etwas wie er<br />
gehöre ins KZ. Dass gleichgeschlechtliche Beziehungen auch<br />
in den Nachkriegsjahren weiterhin unter Strafe standen, veranlassten<br />
den Künstler 1953, seinen Wohnsitz nach Italien<br />
zu verlegen. Dort lernte er, so heißt es, seinen Lebensgefährten<br />
Fausto Moroni in einem Antiquitätenladen kennen; der<br />
1944 geborene Italiener wurde von Henze adoptiert. Nach<br />
Jahrzehnte langer Partnerschaft starb Moroni nur 63-jährig<br />
im Jahr 2007. Bemerkenswert ist Henzes Zusammenarbeit mit<br />
der Dichterin Ingeborg Bachmann – mit der ihn auch eine<br />
tiefe Freundschaft verband – bei der Entstehung der Opern<br />
»Der Prinz von Homburg« (1958/59) und »Der junge Lord«<br />
(1964) sowie bei den Musikdramen »Elegie für junge Liebende«<br />
(1959–61) und »Die Bassariden« (1964/65).<br />
Henze trat in seiner Wahlheimat in die Kommunistische<br />
Partei Italiens ein, das brachte ihm international feindselige<br />
Resonanz; in <strong>Deutschland</strong> boykottierten Künstler 1968 sogar<br />
die Uraufführung seines Oratoriums »Das Floß der Medusa«.<br />
Zeit seines Lebens verstand sich Henze als Linker, ließ es sich<br />
dennoch nicht nehmen, bestimmte großbürgerliche Gewohnheiten<br />
zu pflegen. Er ist der meistgespielte zeitgenössische<br />
Komponist deutscher Herkunft, dem es ein Anliegen<br />
war, Musik als angewandte Kunst verstanden zu wissen, und<br />
eben nicht als elitäres Medium. Das Theater war für ihn von<br />
großer Bedeutung, denn er konnte »im Theater, dem härtesten<br />
Prüfstein zwischen Künstler und Publikum, den Höhepunkt<br />
künstlerischer Aussage sehen…« 2 Vielleicht ergeht es<br />
Hans Werner Henze wie seiner berühmtesten Bühnenfigur,<br />
dem Wassergeist Undine, »(…) immer wieder den Tod besiegend,<br />
mit einem Lied.« 3 ■<br />
Anmerkungen<br />
Nachruf: Hans Werner Henze<br />
Judith Domys und Wolfgang Leistner in Tatjana Gsovskys »Undine«, Berlin<br />
1959 (Foto: Hans Rama)<br />
1 Hans Werner Henze, Undine – Tagebuch eines Balletts, München 1959, S. 70<br />
2 Ebd., S. 51<br />
3 Ebd., S. 69<br />
Ballett Intern 5/2012 37