Ulrich Roehm - Fördervereins Tanzkunst Deutschland
Ulrich Roehm - Fördervereins Tanzkunst Deutschland
Ulrich Roehm - Fördervereins Tanzkunst Deutschland
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Nachruf: Hans Werner Henze<br />
Komponierender Chronist<br />
Nachruf: Hans Werner Henze<br />
von Klaus Geitel<br />
Blättert man flüchtig in Henzes knapp hundertseitigem<br />
Werkverzeichnis, dann will es einem auf Anhieb erscheinen,<br />
es müssten sich unter dem Namen Henze gleich mehrere,<br />
allesamt fruchtbare Komponisten vereinen. Vier annähernd<br />
monumentale Opern und ein abendfüllendes Ballett noch<br />
dazu in nur sechs Jahren im Alleingang zu schreiben und<br />
zur Uraufführung zu bringen, grenzt nahezu an ein Wunder.<br />
Aber für Wunder und Wunderwerke hat sich Henze stets mit<br />
schier unerschütterlichem Fleiß stark gemacht.<br />
»Gehen Sie und tun Sie ihre Pflicht«, hatte ihn einst in der<br />
Jugend sein Wiesbadener Opernintendant angeherrscht, und<br />
Henze war prompt als Dirigent in eigener Sache ans Pult getreten,<br />
eine wahrhaft unzumutbare Pflicht zu erfüllen: eines<br />
seiner Frühwerke aufzuführen, aus dem man hinterrücks alle<br />
Solo-Instrumente herausgestrichen hatte.<br />
Eine künstlerische Demütigung erster<br />
Klasse, überboten später nur noch durch<br />
das Niederknüppeln seiner Musik durch<br />
die Hamburger Polizei bei der Uraufführung<br />
vom »Floß der Medusa« im stürmischen<br />
Revolutions-Dezember 1968 in<br />
Hamburgs Lustgarten »Planten un Blomen«,<br />
den Henze mit dem erzkapitalistischen<br />
Sündenbock »Blohm und Voss«<br />
verwechselt hatte. Man kann schließlich<br />
als Komponist auch nicht alles wissen.<br />
Soviel aber wusste Henze immerhin<br />
schon, dass man dem Opfer namens Rudi<br />
Dutschke beispringen müsse. Er nahm<br />
den auf offener Berliner Straße Niedergeschossenen<br />
und Schwerverletzten in seiner<br />
italienischen Villa auf, in die sich zur<br />
Überwachung der verdächtigen Vorgänge<br />
vorsichtshalber auch noch ein Trupp<br />
italienischer Polizisten einquartierte. Henze,<br />
entschlossen nicht nur ein guter Kom-<br />
Margot Fonteyn (Undine) und Michael Somes (Palemon) in Frederick<br />
Ashtons Ur-Inszenierung von Henzes »Undine«, London 1948<br />
(Foto: Artur Rank Cooperation)<br />
ponist, sondern gleichzeitig eine Art politischer Gutmensch zu<br />
sein, blieb unbeirrbar auf der Seite welchen Aufstands auch<br />
immer. Er war in seiner Jugend stark genug geduckt worden,<br />
um sich später einen extra starken Nacken zuzulegen. Der<br />
wurde tatsächlich gebraucht. Auch musikalisch.<br />
Henze hat sich ja nie wohlüberlegt ausgesucht, was er als<br />
nächstes komponieren würde. Er wurde von den Ideen der<br />
unterschiedlichsten Herkunft geradezu angesprungen und<br />
von ihnen über den Haufen gerannt. Er verfügte überdies<br />
über Verbindungen, die sich andere nur erträumen konnten.<br />
Er wusste Ingeborg Bachmann als Librettistin an seiner Seite,<br />
aber auch Jean Cocteau und W. H.<br />
Auden, den großen anglo-amerikanischen<br />
Lyriker. Und in <strong>Deutschland</strong>, der<br />
alten Heimat, natürlich alle, die einen<br />
Bleistift halten und mit ihm schreiben<br />
konnten.<br />
Mitunter schien es sogar, als könne<br />
das Übermaß der fruchtbaren Kreuz-<br />
und Querverbindungen Henzes unerschöpfliche<br />
Originalität bedrängen.<br />
Doch keine Angst: sie hielt Stand.<br />
Henze wusste kompositorisch immer<br />
genau, was er wollte. Er komponierte<br />
nie ins Blaue hinein. Er hatte das<br />
Jahrhundert, in dem er lebte, immer<br />
vor Augen. Mit einem Wort: er schrieb<br />
Jahrhundertmusik. Sein musikalisches<br />
Oeuvre hat die Welt, wie wir sie<br />
durchlebt und durchlitten haben, fest<br />
im Griff. Er ist, ohne Tag und Stunde<br />
je aufzuzeichnen, ihr Chronist geworden.<br />
En musique! �<br />
36 Ballett Intern 5/2012