die kardinaltugenden und ihre bedeutung für das ... - Theologie heute
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genauer zu sagen, um <strong>die</strong> Selbsterhaltung, im anderen um <strong>die</strong> Arterhaltung. Die hier<br />
wirksamen Triebe sind <strong>die</strong> stärksten Triebe des Menschen. Entarten sie <strong>und</strong> <strong>die</strong> in ihnen<br />
verborgenen Kräfte, so übertreffen sie alle übrigen Kräfte <strong>und</strong> Antriebe des Menschen<br />
an selbstzerstörerischer Wucht. Angesichts <strong>die</strong>ser beiden Urtriebe des Menschen<br />
differenziert sich <strong>die</strong> Tugend des Maßhaltens einerseits im Fasten, verstanden als geordnetes<br />
Bemühen um <strong>das</strong> rechte Maß im Essen <strong>und</strong> Trinken, andererseits in der<br />
Keuschheit, verstanden als <strong>das</strong> Bemühen um <strong>die</strong> vernunftgemäße Ordnung im geschlechtlichen<br />
Bereich, <strong>die</strong> sich dann wiederum differenziert entsprechend dem Stand<br />
des Einzelnen, von daher sprechen wir von der standesgemäßen Keuschheit 192 .<br />
Im Lateinischen trägt <strong>die</strong> vierte Kardinaltugend <strong>die</strong> Bezeichnung „temperantia“. Das<br />
lateinische Verbum „temperare“, <strong>das</strong> dem Substantiv „temperantia“ zugr<strong>und</strong>e liegt,<br />
bedeutet so viel wie ordnen. Genau <strong>das</strong> ist <strong>die</strong> Aufgabe <strong>die</strong>ser Tugend. Sie bringt Ordnung<br />
in <strong>das</strong> Chaos unserer Triebe <strong>und</strong> unserer Triebhaftigkeit. Sie erhält damit eine<br />
besondere Aktualität angesichts der Tatsache, <strong>das</strong>s der moderne Mensch weithin bestimmt<br />
ist von der Ordnungslosigkeit, <strong>die</strong> <strong>ihre</strong>rseits unverkennbar getragen wird von<br />
der Tendenz, sich zu steigern, <strong>die</strong> Ordnungslosigkeit in uns <strong>und</strong> um uns. Im Gr<strong>und</strong>e<br />
ten<strong>die</strong>rt <strong>das</strong> Chaos immer zur Eskalation, <strong>das</strong> gilt schon im Bereich der Physik, <strong>und</strong><br />
immer ist <strong>die</strong> Ordnungslosigkeit zerstörerisch. Daher gilt: Wenn der Maßlosigkeit<br />
nicht Einhalt geboten wird, steht uns, innerweltlich gesehen, keine gute Zukunft bevor.<br />
Das heißt: Krankheiten werden sich ausbreiten, körperliche <strong>und</strong> seelische Krankheiten,<br />
vor allem seelische Krankheiten, <strong>die</strong> Entfremdung der Menschen voneinander, der<br />
Streit <strong>und</strong> <strong>die</strong> Auseinandersetzungen werden eskalieren, in den natürlichen Gemeinschaften<br />
<strong>und</strong> in der Gesellschaft, <strong>die</strong> Vereinzelung der Menschen wird wachsen, <strong>die</strong><br />
Friedlosigkeit wird sich steigern, <strong>die</strong> Kriminalität <strong>und</strong> <strong>die</strong> allgemeine Unsicherheit<br />
werden sich ausbreiten, kriegerische Auseinandersetzungen innerhalb der Völker <strong>und</strong><br />
unter den Völkern werden uns in wachsendem Maße heimsuchen. Angesichts <strong>die</strong>ser<br />
Entwicklung wird man erinnert an <strong>die</strong> apokalyptischen Reden Jesu in den Evangelien,<br />
wo es heißt: „Ein Volk wird sich gegen <strong>das</strong> andere erheben <strong>und</strong> ein Reich gegen <strong>das</strong><br />
andere, es werden Erdbeben <strong>und</strong> Hungersnöte über <strong>die</strong> Menschen kommen“ (Mk 13,<br />
8), „Es wird große Not sein im Lande“ (Lk 21,23), „Ein Zorngericht wird über sie<br />
kommen, durch des Schwertes Schärfe werden sie fallen, werden sie gefangen weggeführt<br />
zu allen Völkern“ (Lk 21, 24), „Die Menschen werden verschmachten vor Furcht<br />
in Erwartung der Dinge, <strong>die</strong> kommen sollen über <strong>die</strong> ganze Erde“ (Lk 21, 26), „Es<br />
192 Thomas von Aquin, Summa Theologiae II/II, q. 141, a. 4; vgl. Joachim Piegsa, Der Mensch - <strong>das</strong><br />
moralische Lebewesen, St. Ottilien 1996, 502 f.