die kardinaltugenden und ihre bedeutung für das ... - Theologie heute
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Das Selbstzerstörerische<br />
77<br />
der Zuchtlosigkeit, speziell des Lasters der<br />
Unkeuschheit, liegt darin, <strong>das</strong>s sie den „Menschen befangen macht <strong>und</strong> unbereit zu<br />
sehen, was ist. Der Unkeusche ist abgelenkt durch ein unkeusches Interesse“ 215 .<br />
Die Zuchtlosigkeit führt nicht nur zur Verblendung des Geistes, sie macht auch unfähig<br />
zu wahrer Liebe. Die Liebe drängt nämlich zur Hingabe, <strong>und</strong> sie hält <strong>die</strong> Distanz<br />
der Ehrfurcht. Die Liebe hat <strong>die</strong> Tendenz, den Geliebten höher zu führen. Die Zuchtlosigkeit<br />
hingegen gibt sich preis aus ichhafter Gier nach Lust <strong>und</strong> steht damit im Gegensatz<br />
zur Hingabe, sie missbraucht sich <strong>und</strong> den anderen <strong>und</strong> steht damit im Gegensatz<br />
zur Ehrfurcht, <strong>und</strong> sie entwürdigt sich <strong>und</strong> den anderen <strong>und</strong> steht damit im Gegensatz<br />
zur adelnden Kraft der Liebe 216 .<br />
Die Tugend der Zucht <strong>und</strong> des Maßes lebt immer von der Liebe <strong>und</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Liebe. Jede<br />
Form der Zucht <strong>und</strong> des Maßhaltens - im leiblichen wie im geistigen Bereich - bekommt<br />
<strong>ihre</strong>n höchsten Tugendglanz erst aus der Durchformung durch <strong>die</strong> Liebe. In<br />
<strong>die</strong>sem Sinne sagt Augustinus (+ 430): „Die Tugend der Zucht <strong>und</strong> des Maßes zielt<br />
darauf, den Menschen unversehrt <strong>und</strong> unangetastet zu bewahren <strong>für</strong> Gott“ 217 .<br />
Wir müssen unterscheiden zwischen der Zuchtlosigkeit <strong>und</strong> der Unbeherrschtheit. Die<br />
Zucht- <strong>und</strong> Maßlosigkeit ist ein Laster. Als solches ist sie diametral der Tugend der<br />
Zucht <strong>und</strong> des Maßes entgegengesetzt, <strong>die</strong> Unbeherrschtheit ist hingegen eine schlimme<br />
Seelenlage, nicht aber ist sie ein vollendetes Laster, sie ist der Beherrschtheit entgegengesetzt.<br />
Wir müssen hier wohl unterscheiden. Es gibt <strong>die</strong> Sünde der Zuchtlosigkeit,<br />
<strong>die</strong> nicht menschliche Schwachheit, sondern menschliche Bosheit ist. In <strong>die</strong>ser<br />
Haltung bereut der Zuchtlose nicht, in <strong>die</strong>ser Haltung freut er sich vielmehr, gesündigt<br />
zu haben <strong>und</strong> noch sündigen zu können, weil ihm <strong>das</strong> Sündigen gewissermaßen natürlich<br />
geworden ist. Der in <strong>die</strong>sem Sinne Zuchtlose hat sich gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zuchtlosigkeit<br />
entschieden <strong>und</strong> beharrt auch gesinnungsmäßig in ihr. Demgegenüber hat der<br />
Unbeherrschte wenigstens noch den Willen zur Zucht, ist er jedoch im einzelnen Akt<br />
von den ungeordneten Trieben, wenn auch nicht ohne Schuld, übermannt. Der Unbeherrschte<br />
bereut seine Sünde, er kann sie bereuen, ist sie doch nicht Bosheit, sondern<br />
215 Josef Pieper, Zucht <strong>und</strong> Maß, Über <strong>die</strong> vierte Kardinaltugend, Leipzig 1939, 36.<br />
216 Bernhard Häring, Das Gesetz Christi, Freiburg 1957, 527 f.<br />
217<br />
Augustinus, De moribus ecclesiae catholicae cap. 15; vgl. Bernhard Häring, Das Gesetz Christi, Freiburg<br />
1957, 528.