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Migrationssensibler Kinderschutz und Frühe Hilfen - Nationales ...

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Eva Sandner / Barbara Thiessen<br />

Die »gute Mutter« revisited –<br />

genderkritische Anmerkungen zu <strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong><br />

Vernachlässigung <strong>und</strong> Gewalt gegen -<br />

über Säuglingen <strong>und</strong> Kindern sind er -<br />

schreckende <strong>und</strong> emotional aufwühlende<br />

Ereignisse. Die absolute Angewiesenheit<br />

von Kleinkindern auf die Fürsorge<br />

Er wachsener rührt an gesellschaftliche<br />

Gr<strong>und</strong> verfasstheiten ebenso wie an eigene<br />

Erfahrungen früher Abhängigkeiten<br />

<strong>und</strong> Verletzlichkeiten. Zur Abwehr –<br />

etwa der Erinnerung an soziale <strong>und</strong> persönliche<br />

Angewiesenheit – dienen kul -<br />

turell tief verankerte Bilder der »guten<br />

Mutter«. In den medial aufgeheizten<br />

Debatten zu Fällen von Kindstötung<br />

wurden stets die Mütter adressiert, fast<br />

nie die Väter oder soziale Unter ver sor -<br />

gungslagen thematisiert. Auch in den<br />

Fachdiskursen zu <strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong> klingen<br />

Vorstellungen naturhafter Mutterliebe<br />

an, die auf traditionellen Geschlechter -<br />

konstruktionen beruhen (vgl. Benz 2010).<br />

Unsere Ausgangsthese ist, dass sich<br />

das Leitbild von der »guten Mutter«<br />

gegenwärtig wandelt <strong>und</strong> schichtspezifisch<br />

unterschiedlich diskutiert wird (vgl.<br />

Thiessen/Villa 2008). Die »gute Mutter«<br />

der Mittelschicht ist hoch qualifiziert,<br />

erwerbstätig, kann ihren Kindern etwas<br />

bieten. Ihre Fähigkeit feinfühligen Ver -<br />

haltens gegenüber Kindern wird nicht in<br />

Frage gestellt. Bei den »bildungsfernen<br />

Risikomüttern« steht dagegen die Frage<br />

nach Bindung <strong>und</strong> Feinfühligkeit an<br />

erster Stelle. Unterstellt wird ihnen, dass<br />

sie über diese Fähigkeiten nicht selbstverständlich<br />

verfügten. Ziel der Exper -<br />

tIn nen ist es, das Kind <strong>und</strong> seine Be -<br />

dürfnisse bei der Mutter an erste Stelle<br />

zu setzen. Verb<strong>und</strong>en mit diesem Mut -<br />

ter leitbild ist die Hoffnung, mit sicher<br />

geb<strong>und</strong>enen Kindern soziale Missstände<br />

ausgleichen zu können.<br />

Im Rahmen dieses Kommentares werden<br />

wir auf den zweiten Teil dieser These<br />

fokussieren <strong>und</strong> zunächst anhand von<br />

vier Stichpunkten Argumentations fi -<br />

guren in den Fachdiskursen zu <strong>Frühe</strong>n<br />

<strong>Hilfen</strong> hinsichtlich ihrer inhärenten<br />

Müt ter- <strong>und</strong> Genderkonstruktionen aufzeigen.<br />

Eingeladen wird zu einer Debatte<br />

28<br />

Zielgruppen, Zugänge <strong>und</strong> Wirksamkeit<br />

um Retraditionalisierung von Mütter -<br />

leitbildern mit dem Ziel, die Zuweisung<br />

von Sorgeverantwortung zu erweitern.<br />

Bindung ist Frauensache?<br />

Oder: Die »Institution Mutter«<br />

Die Fachdebatte zu <strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong><br />

wird in weiten Teilen bestimmt von bindungstheoretischen<br />

Ansätzen. Ausgegan -<br />

gen wird von der Beeinflussbarkeit der<br />

Bezugspersonen auf die Bindungsqualität<br />

mit dem Säugling vor allem durch feinfühliges<br />

Verhalten <strong>und</strong> zeitnahe Reak -<br />

tionen auf die Signale des Kindes. Damit<br />

wurde die Beziehungsqualität zwischen<br />

Erwachsenen <strong>und</strong> Kindern messbar.<br />

Hierzu liegen umfangreiche Forschungs -<br />

arbeiten <strong>und</strong> Programme vor, beginnend<br />

mit den Arbeiten von Bowlby 1975 <strong>und</strong><br />

Ainsworth u.a. 1978 (vgl. Bowlby 1975;<br />

Ainsworth u.a. 1978). Die mystifizierte<br />

<strong>und</strong> mit dem Kleid der Natürlichkeit verhüllte<br />

Mutter-Kind-Bindung wird durch<br />

diesen Ansatz mit der Unter suchung konkreter<br />

Verhaltensweisen von Bezugs per -<br />

son <strong>und</strong> Kind der Reflexion zugänglich<br />

gemacht. Beispielsweise wird mit dem<br />

Instrument »CARE-Index« von Critten -<br />

den die Feinfühligkeit messbar <strong>und</strong> da -<br />

mit operationalisierbar (vgl. Crittenden<br />

2005). Daher findet dieses Instrument<br />

zu Recht in den <strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong> sehr viel<br />

Aufmerksamkeit.<br />

Bemerkenswert ist, dass die Bindungs -<br />

theorie keineswegs die Mutter als einzig<br />

mögliche Bezugsperson identifiziert. Tat -<br />

sächlich kommt es ihr auf die Be zie hungs -<br />

qualität an, egal welche konkrete Person<br />

dafür zur Verfügung steht. Ahnert verweist<br />

hier auf die Ausschüt tung von Oxy tocin,<br />

das für den Bin dungs aufbau zum Kind<br />

wesentlich ist. Diese Aus schüttung er folgt<br />

nicht nur beim Geburts- oder Still verlauf,<br />

sondern auch durch Haut kon takt mit<br />

dem Vater oder einer anderen stän digen<br />

Bezugsperson (vgl. Ahnert 2010, S. 29).<br />

IzKK-Nachrichten 2010-1: <strong>Kinderschutz</strong> <strong>und</strong> <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong><br />

In den theoretischen Debatten <strong>und</strong><br />

praktischen Ansätzen der <strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong><br />

wird allerdings implizit fast ausschließlich<br />

die Mutter adressiert. Denn sie ist<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> der geschlechtshierarchischen<br />

Arbeitsteilung Haupt ver -<br />

antwortliche für das Kind. Sie ist daher<br />

ebenso leichter als Klientin als auch als<br />

Untersuchungsperson greifbar. Vermutet<br />

werden muss jedoch auch neben dieser<br />

projekt- <strong>und</strong> forschungseffizienten Be -<br />

gründung, dass nicht reflektierte An nah -<br />

men einer traditionellen Zustän dig keit<br />

von Frauen für Säuglinge hier fröh liche<br />

Urständ feiern. So spricht beispielsweise<br />

Hellbrügge explizit von der Mutter als<br />

»für das Kind <strong>und</strong> seine Entwicklung<br />

einzigartige Person <strong>und</strong> Institution«<br />

(vgl. Hellbrügge 2008, S. 8).<br />

Familienleitbilder der ExpertInnen<br />

Wenn in der Berufsberatung ein<br />

männ licher Jugendlicher auftaucht, dessen<br />

Fre<strong>und</strong>in ein Kind erwartet, wird dies als<br />

Aufhänger für verstärkte Aus bildungs<strong>und</strong><br />

Berufsorientierung gesehen. Die<br />

schwangere Fre<strong>und</strong>in wird dagegen eher<br />

ein Fall für die <strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong>. Das Bei -<br />

spiel (vgl. Thiessen 2007) macht deutlich,<br />

dass in der sozialen Arbeit häufig unreflektiert<br />

traditionelle Familien leit bilder<br />

transportiert werden. Diese erscheinen<br />

weder besonders geeignet, den Familien -<br />

zusammenhalt zu fördern, noch sind<br />

sie bei möglichen Tren nungssituationen<br />

hilfreich. Der durch Ausbildung <strong>und</strong><br />

Erwerbs arbeit abgezogene Vater hat so<br />

kaum Chancen, Bindung aufzubauen.<br />

Die zu Hause festgesetzte junge Mutter<br />

ist im Falle einer Trennung eher dauerhaft<br />

auf Transferleistungen angewiesen. Wieso<br />

nicht Teilzeit berufs ausbildung für beide?<br />

Rhetorisch werden Väter in Maß nah -<br />

men der <strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong> nicht selten mit<br />

benannt. Tatsächlich werden sie aber in<br />

der Praxis kaum erreicht (vgl. Liel/Kind -<br />

ler 2009, S. 9 f.). Eine Ursache könnte<br />

darin liegen, dass Inhalte <strong>und</strong> Rahmen -<br />

bedingungen der Angebote Frü her

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