Migrationssensibler Kinderschutz und Frühe Hilfen - Nationales ...
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Deshalb ist an den bereits bestehenden<br />
Leistungstatbeständen anzusetzen.<br />
Im Hinblick auf das Ziel, <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong><br />
(auch) im Leistungsspektrum der Kin der<strong>und</strong><br />
Jugendhilfe stärker zu verankern,<br />
kommt vor allem das »Umfeld von § 16<br />
SGB VIII« in Betracht. Eine An knüpfung<br />
an die Leistungs voraus set zun gen des § 27<br />
erscheint zu hochschwellig, weil § 27<br />
eben nicht als Anspruchs gr<strong>und</strong>lage für<br />
»allgemeine Leistungen« konzipiert ist.<br />
Auch der Vorschlag der AGJ, bei Vor lie gen<br />
der Tatbestands voraussetzungen des § 27<br />
einen Rechts anspruch auf Leistun gen<br />
nach § 16 zu eröffnen (vgl. Arbeits gemein -<br />
schaft Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe 2010,<br />
S. 5), überzeugt rechtssystematisch nicht,<br />
weil die §§ 27 ff einen bestimmten Leis -<br />
tungs typus im Auge haben, der sich hin -<br />
sichtlich seines Profils von anderen Leis -<br />
tungstatbeständen – so etwa auch von<br />
der allgemeinen Förderung der Er zie hung<br />
in der Familie oder der Förde rung von<br />
Kindern in Tageseinrichtungen – unterscheidet.<br />
Daher können dieselben Rechtsfolgen<br />
nicht gleichzeitig verschiedenen<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lagen zugeordnet werden.<br />
Dies schließt freilich nicht aus, dass einzelne<br />
intensivere <strong>Hilfen</strong>, die dem Spek -<br />
trum »<strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong>« zugeordnet werden<br />
– wie das STEEP-Programm –, auf der<br />
Gr<strong>und</strong>lage von § 27 geleistet werden.<br />
Dies bedeutet tendenziell: Je stärker sich<br />
die Leistungen von ihrer Konzeption<br />
her an alle (werdenden) Eltern (im Sinn<br />
von Kursangeboten) richten, umso eher<br />
sind sie rechtssystematisch im Umfeld<br />
von § 16 anzusiedeln. Je stärker es um<br />
die Deckung individueller Bedarfe geht,<br />
die erst gemeinsam ermittelt werden<br />
müssen, umso eher ist die Leistung im<br />
Bereich der Hilfe zur Erziehung an -<br />
zusiedeln. Der 13. Kinder- <strong>und</strong> Jugend -<br />
bericht unterscheidet – unter Bezug -<br />
nahme auf Schone (vgl. Schone 2008) –<br />
insoweit zwischen Eltern- <strong>und</strong> Familien -<br />
bildung »vor der ersten Schwelle« <strong>und</strong><br />
<strong>Hilfen</strong> für (werdende) Eltern mit Risiko -<br />
faktoren, denen <strong>Hilfen</strong> zur Erzie hung<br />
gewährt werden, ohne dass bereits »ge -<br />
wich tige Anhaltspunkte für eine Kin des -<br />
wohlgefährdung« erkennbar wären (vgl.<br />
Deutscher B<strong>und</strong>estag 2009, S. 187 ff).<br />
Um die Rechtsfolge des Anspruchs für<br />
Leistungen, die in § 16 aufgeführt sind,<br />
herbeizuführen, ist deshalb eine Ergän zung<br />
oder Modifikation in § 16 erforderlich.<br />
Zu diesem Zweck müsste entweder die<br />
bisherige Aufgabenbeschreibung in § 16<br />
durch konkreter gefasste <strong>und</strong> damit einklagbare<br />
Rechtsansprüche auf be stimm te<br />
Leistungen unterlegt werden – etwa auf<br />
Beratung <strong>und</strong> Hilfe in Fragen des Aufbaus<br />
elterlicher Erziehungs- <strong>und</strong> Beziehungs -<br />
kompetenzen. Denkbar wäre auch, Bera -<br />
tung <strong>und</strong> Hilfe in Fragen der Ernährung<br />
<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>erhaltung während der<br />
Schwan gerschaft, der Geburts vorbe rei tung<br />
<strong>und</strong> der Säuglingspflege hier mit auf -<br />
zunehmen, was aber zwangsläufig dazu<br />
führen müsste, die Leistung als Kom -<br />
plex leistung auszugestalten.<br />
Denkbar erscheint aber auch eine an -<br />
dere Variante, nämlich die Auskopp lung<br />
des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 (Bera tung<br />
in Fragen der Partnerschaft) <strong>und</strong> dessen<br />
Erweiterung um Beratung in Fragen der<br />
frühen Elternschaft. Ent sprechende An -<br />
sprüche könnten dann in einem neuen<br />
§ 16a geregelt werden. Auch hier stellt<br />
sich sehr schnell die Frage der Abgren zung<br />
zum Verant wor tungsbereich des Ges<strong>und</strong> -<br />
heitssystems. Deshalb sollte jede ent -<br />
sprechende Regelung auch Vorgaben zur<br />
Aus gestaltung einer Komplexleistung<br />
<strong>und</strong> zur Kostenteilung enthalten.<br />
Schließlich sollte der Katalog von<br />
Hilfetypen in den §§ 28 ff, der letztlich<br />
die Angebotslandschaft <strong>und</strong> die Fach -<br />
diskussion aus den achtziger Jahren des<br />
vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts widerspiegelt,<br />
daraufhin überprüft werden, ob die<br />
zwischenzeitlich entwickelten Haus -<br />
besuchs programme für belastete Familien<br />
(z.B. im Profil der sozialpädagogischen<br />
Familienhilfe nach § 31) ausreichend<br />
abgebildet sind <strong>und</strong> der Adressatenkreis<br />
in § 27 auf werdende Eltern erweitert<br />
werden sollte.<br />
Bereits diese Überlegungen zeigen,<br />
dass es – bezogen auf das Leistungs -<br />
spektrum der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe –<br />
keinen Königsweg zur Etablierung<br />
»Frü her <strong>Hilfen</strong>« gibt. Noch gar nicht<br />
angesprochen sind damit wünschenswerte<br />
Verbesserungen im Leistungsspektrum<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
sowie in den – sehr unterschiedlich ausgestalteten<br />
– Landesgesetzen über den<br />
öffentlichen Ges<strong>und</strong>heitsdienst. Soll der<br />
Brückenschlag über die Systeme hinweg<br />
gelingen, bedarf es aber über die gesetz -<br />
liche Garantie eines breit gefächerten Leis -<br />
tungsangebots hinaus zudem belastbarer<br />
IzKK-Nachrichten 2010-1: <strong>Kinderschutz</strong> <strong>und</strong> <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong><br />
Strukturen <strong>und</strong> Finanzierung<br />
Regelungen über die einzelfallbezogene,<br />
systemübergreifende Kooperation <strong>und</strong><br />
Finanzierung sowie über die strukturelle<br />
Zusammenarbeit. Hier steht das steuer -<br />
finanzierte <strong>und</strong> örtlich gesteuerte System<br />
der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe dem beitrags<br />
finanzierten <strong>und</strong> stärker vom B<strong>und</strong><br />
gesteuerten System der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung gegenüber. Hinzu<br />
kommen die unterschiedlichen Perspek -<br />
tiven <strong>und</strong> das unterschiedliche fachliche<br />
Verständnis der verschiedenen Profes -<br />
sionen. Hier bilden Institutionen wie das<br />
Nationale Zentrum <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong> eine<br />
wichtige Plattform für die Ver stän digung<br />
<strong>und</strong> Kooperation.<br />
Ein neues <strong>Kinderschutz</strong>gesetz kann<br />
bestenfalls erste Signale für die Etablie rung<br />
eines »systemübergreifenden Sys tems<br />
<strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong>« setzen. Im Übrigen wird<br />
es eines langen Atems <strong>und</strong> weiterer<br />
Überzeugungsarbeit auf der (fach-)po li -<br />
tischen Ebene bedürfen, um langfristig<br />
Systemgrenzen zu überwinden <strong>und</strong> da -<br />
durch die Entwicklungsperspektiven<br />
vieler Kinder frühzeitig <strong>und</strong> nachhaltig<br />
zu verbessern.<br />
Kontakt<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner<br />
Ministerialrat a.D.<br />
Beratende Tätigkeit für das<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Familie,<br />
Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend<br />
E-Mail:<br />
Reinhard.Wiesner@bmfsfj.b<strong>und</strong>.de<br />
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