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Migrationssensibler Kinderschutz und Frühe Hilfen - Nationales ...

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Alexandra Sann / Detlev Landua<br />

Konturen eines vielschichtigen Begriffs:<br />

Wie Fachkräfte <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong> definieren <strong>und</strong> gestalten<br />

»<strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong>« ist ein rechtlich weitgehend<br />

unbestimmter Begriff, er taucht<br />

in keinem der Sozialgesetzbücher der Bun -<br />

desrepublik Deutschland als Leis tungs -<br />

tatbestand auf <strong>und</strong> muss in der Praxis<br />

vor Ort von Akteuren aus vielen unterschiedlichen<br />

Professionen jeweils »neu<br />

erf<strong>und</strong>en« werden. Die Inter pre tationen<br />

des Begriffs »<strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong>« sind dabei<br />

sehr heterogen <strong>und</strong> ziehen sehr unterschied<br />

liche praktische Arbeits an sät ze <strong>und</strong><br />

bunt gemischte Koopera tions verbünde<br />

nach sich. Im Rahmen einer b<strong>und</strong>esweiten<br />

Bestandsaufnahme <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong> durch<br />

das Nationale Zentrum <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong><br />

(NZFH) war deshalb eine der zentralen<br />

Fragestellungen zu erfassen, was Fach -<br />

kräfte in den für die Umsetzung von<br />

<strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong> prädestinierten kommunalen<br />

Steu erungs behör den, den Ju gend<strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heits ämtern, genau unter<br />

<strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong> verstehen <strong>und</strong> wie sie<br />

dement spre chend <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong> in ihrem<br />

Verant wortungs bereich gestalten. Im<br />

Folgenden wird kurz auf die Debatte um<br />

den Be griff »<strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong>« eingegangen,<br />

anschließend die empirische Unter suchung<br />

vorgestellt <strong>und</strong> von zentralen Er geb nis -<br />

sen berichtet, die deutlich ma chen, wie<br />

weit der Bogen ist, der sich hier spannt.<br />

»<strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong>« im Fachdiskurs<br />

Der Begriff »<strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong>«, wie er<br />

2006 im Aktionsprogramm des B<strong>und</strong>es -<br />

ministeriums für Familie, Senio ren, Frau en<br />

<strong>und</strong> Jugend »<strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong> für Eltern<br />

<strong>und</strong> Kinder <strong>und</strong> soziale Früh warn sys te me«<br />

vorgestellt wurde (vgl. Na tio nales Zen -<br />

trum <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong> [NZFH] 2008, S. 7)1,<br />

ist im Fachdiskurs nicht unumstritten.<br />

Viele Facetten des Begriffs wurden <strong>und</strong><br />

werden kritisch diskutiert: Ist »früh« im<br />

Sinne von »rechtzeitig« gemeint, also<br />

als ein Handeln, bevor ein Problem oder<br />

De fizit manifest wird, <strong>und</strong> deshalb im<br />

Prinzip unabhängig vom Alter der Adres -<br />

satinnen <strong>und</strong> Adressaten? Oder ist es im<br />

Sinne von »frühzeitig im Leben« zu verstehen,<br />

das heißt als ein Bündel von Maß -<br />

nah men, das sich an eine bestimmte<br />

Altersgruppe, nämlich Ungeborene, Säuglinge<br />

<strong>und</strong> Klein kinder mit ihren Eltern<br />

wendet? Sollen im Sinne von Prävention<br />

vorrangig antizipierte negative Ereignisse<br />

– hier spezifisch Vernach lässigung <strong>und</strong><br />

Miss hand lung von Kleinstkindern – vermieden<br />

werden, oder steht im Sinne von<br />

Befä hi gung die Förderung von allgemeinen<br />

<strong>und</strong> spezi fischen personellen Kom -<br />

pe ten zen – hier Erziehungskompetenzen<br />

von Eltern – im Mittelpunkt der Bemü -<br />

hun gen? Sieht man demnach eher mit<br />

einem defizit orientierten oder einem ressourcenorientierten<br />

Blick auf die Fami -<br />

lien? An welche Gruppen von Familien<br />

richten sich ei gent lich die Angebote:<br />

an alle Familien, um Stigmatisierung<br />

zu vermeiden – im Sinne universeller<br />

bzw. primärer Präven tion – oder gezielt<br />

an beson ders belastete Familien – im<br />

Sinne selektiver bzw. se k<strong>und</strong>ärer Präven -<br />

tion –, um die be grenz ten Ressourcen<br />

denen zugutekommen zu lassen, die am<br />

meisten davon profitieren, wenngleich<br />

sie oft nur schwer zu erreichen sind?<br />

Und welcher Art sind die Netz wer ke<br />

<strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong>, die mittlerweile bun des -<br />

weit aufgebaut werden: Sind es eher<br />

Hilfe systeme, basierend auf Nieder schwel -<br />

lig keit <strong>und</strong> Frei willigkeit der In anspruch -<br />

nah me durch die KlientInnen – oder<br />

doch eher Melde- <strong>und</strong> Kontroll sys teme,<br />

die dem Bedürfnis der Fach kräfte nach<br />

Absicherung dienen? Nicht zuletzt stellt<br />

sich auch die gr<strong>und</strong>sätzliche Frage, ob<br />

<strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong>, die in ihrem We sens kern<br />

Verhaltensprävention darstellen, in je -<br />

dem Fall <strong>und</strong> für sich allein ausreichende<br />

Maß nahmen zur Förderung des ge sun -<br />

den Auf wachsens von »Kindern auf der<br />

Schat tenseite des Lebens« (vgl. Bun des -<br />

minis terium für Familie, Senioren, Frau en<br />

<strong>und</strong> Jugend [BMFSFJ] 2010) darstellen,<br />

wenn sie nicht eingebettet sind in einen<br />

umfassenderen Rahmen von So zial- <strong>und</strong><br />

Fami lien politiken, die auch die Le bens -<br />

um stän de, unter denen diese Familien<br />

Kinder aufziehen, ver ändern <strong>und</strong> verbessern<br />

wol len im Sinne von Verhältnis prä -<br />

vention (vgl. Böllert 2010). Ist dies nicht<br />

der Fall, be steht die Gefahr, dass <strong>Frühe</strong><br />

<strong>Hilfen</strong>, die nach der neuen Defi ni tion des<br />

IzKK-Nachrichten 2010-1: <strong>Kinderschutz</strong> <strong>und</strong> <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong><br />

Strukturen <strong>und</strong> Finanzierung<br />

wissen schaftlichen Beirats des NZFH2 auch<br />

auf die Verbesserung von Teilhabe chan cen<br />

abzielen, von den Be trof fenen dennoch<br />

als ein Instrument der Ausgren zung er -<br />

lebt werden <strong>und</strong> damit die Schwel len zur<br />

Inanspruchnahme un gewollt steigen.<br />

Fachkräfte stehen bei der Imple men -<br />

tie rung von <strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong> in ihrem Ge -<br />

mein wesen also vor der schwierigen Auf -<br />

gabe, gemeinsam mit Akteuren aus un -<br />

ter schied lichen Professionen <strong>und</strong> Ins ti tu -<br />

tionen Ant worten auf diese Fragen zu<br />

finden. Die Art der Antworten wiederum<br />

konstituiert ganz unterschiedliche Vor ge -<br />

hens weisen, <strong>und</strong> dies in mehrfacher Hin -<br />

sicht: Sie be stimmt die Strate gien bezüglich<br />

Auswahl <strong>und</strong> Zugang zur Ziel gruppe,<br />

die Präfe ren zen für bestimmte Angebote,<br />

die Haltung gegenüber den AdressatIn nen,<br />

die Zu sam mensetzung <strong>und</strong> den Auftrag<br />

der professionellen Ko operatio nen usw.<br />

So verwun dert es nicht, dass der Verstän -<br />

digungs- <strong>und</strong> Konstruk tions prozess über<br />

»<strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong> in unserer Gemeinde /<br />

in unserem Landkreis« einen essenziellen<br />

Schritt bei der Bildung lokaler Netz wer ke<br />

darstellt (vgl. Natio na les Zentrum <strong>Frühe</strong><br />

<strong>Hilfen</strong> [NZFH] 2010).<br />

1 Gemäß dem Aktionsprogramm des B<strong>und</strong>es -<br />

ministeriums für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong><br />

Jugend sind <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong> präventiv ausgerichtete<br />

Unterstützungs- <strong>und</strong> Hilfeangebote für Eltern ab<br />

Beginn einer Schwangerschaft bis Ende des dritten<br />

Lebensjahrs eines Kindes. Sie richten sich vor -<br />

wiegend an Familien in belasteten Lebens lagen<br />

mit geringen Bewältigungs ressourcen. Die aus<br />

diesen Bedingungen resultierenden Risiken für<br />

ein ges<strong>und</strong>es Aufwachsen der Kinder sollen frühzeitig<br />

erkannt (<strong>Frühe</strong>rkennung) <strong>und</strong> die Eltern<br />

zur Inanspruchnahme passender Angebote zur<br />

Stärkung ihrer Erziehungskompetenz motiviert<br />

werden. Auf diese Weise soll der Schutz der Kin -<br />

der vor einer möglichen späteren Vernach läs si -<br />

gung <strong>und</strong>/oder Misshandlung verbessert wer den.<br />

Diese Ziele sollen durch eine enge Ver netzung<br />

<strong>und</strong> Kooperation insbesondere von Akteuren <strong>und</strong><br />

Institutionen aus dem Ges<strong>und</strong> heitsbereich wie<br />

aus der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe erreicht werden.<br />

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