18.10.2013 Aufrufe

Migrationssensibler Kinderschutz und Frühe Hilfen - Nationales ...

Migrationssensibler Kinderschutz und Frühe Hilfen - Nationales ...

Migrationssensibler Kinderschutz und Frühe Hilfen - Nationales ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Hilfen</strong> möglicherweise nicht auf Väter<br />

eingestellt sind <strong>und</strong> nicht deren ge -<br />

schlechtlich unterlegten Vorstellungen<br />

vom Vatersein entsprechen.<br />

Durchaus strittig ist die Frage, was Familien<br />

ausmacht <strong>und</strong> welche Fähig kei ten<br />

notwendig sind, gelungene Ver ant wor -<br />

tungs gemeinschaften zu leben. Hier spielen<br />

milieuspezifische Unter le gungen eine<br />

wichtige Rolle. Risiko ein schät zun gen<br />

werden eher bei arbeitslosen Eltern in<br />

Un terversorgungslagen vorgenommen als<br />

bei zwei vollzeiterwerbstätigen »High<br />

Potential«-Eltern mit überlangen Arbeits -<br />

zeiten. Was sind die Normalitäts vorstel -<br />

lungen der ExpertIn nen, wo beginnt<br />

das Risiko?<br />

Die gängige Praxis der Mittel schich -<br />

ten ist es, Familiengründung <strong>und</strong> Kin -<br />

dererziehung durch rationale Planung<br />

<strong>und</strong> Expertisierung unter Einsatz hoher<br />

kognitiver, finanzieller <strong>und</strong> emotionaler<br />

Kräfte zu bewerkstelligen. Sie zielt auf<br />

die soziale Platzierung des Nachwuchses<br />

mittels Bildung <strong>und</strong> Förderung. Ist es da<br />

nicht eine Provokation, wenn »Benach -<br />

teiligte« ihren Familienalltag scheinbar<br />

»einfach so« leben, ungeplant schwanger<br />

werden, ihr Erziehungsverhalten kaum<br />

reflektieren <strong>und</strong> zudem auf staatliche<br />

Fürsorge setzen? Hier spielt möglicherweise<br />

auch eine »moral panic« (vgl. Cohen<br />

2002) eine Rolle, wenn in Unter schich -<br />

ten eine »sexuelle Verwahr losung« angenommen<br />

wird. Von diesen Annahmen<br />

sind auch ExpertInnen nicht ganz aus -<br />

zunehmen. So kann im Umgang etwa<br />

mit minderjährigen Müttern eigenes Ver -<br />

wehrtes, wie ein Leben im Hier <strong>und</strong> Jetzt,<br />

unzeitgemäße Kinderwünsche oder das<br />

Einfordern von Hilfe <strong>und</strong> Unter stüt zung,<br />

projiziert werden.<br />

Feinfühligkeit ist alles<br />

Wer die Literatur zu <strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong><br />

sichtet, stößt überwiegend auf das Kon -<br />

zept der Feinfühligkeit. Gemeint ist<br />

damit, dass Erwachsene gegenüber Sig -<br />

nalen des Kindes aufmerksam sind, diese<br />

richtig deuten sowie prompt <strong>und</strong> angemessen<br />

darauf reagieren. Dieses gr<strong>und</strong>legend<br />

einleuchtende Konzept ist allerdings<br />

daraufhin zu reflektieren, welche<br />

Erwartungen damit an die Bindungs -<br />

person in den Programmen <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong><br />

– nämlich Mütter – gestellt werden:<br />

Können Mütter, die meist mit vielfäl -<br />

tigen Zuständigkeiten beschäftigt sind,<br />

immer feinfühlig sein? Wie können sie<br />

feinfühlig sein, aber dennoch ihren<br />

eigenen Bedürfnissen gerecht werden?<br />

Braucht nicht vielmehr eine nachhaltige<br />

Fähigkeit zur Feinfühligkeit auch die<br />

Fähigkeit der Wahrnehmung eigener<br />

Bedürfnisse? Und welche Rolle spielen<br />

dabei Väter?<br />

Bei der Anwendung des CARE-Indexes<br />

(vgl. Crittenden 2005) wird die Inter -<br />

aktion zwischen Bezugsperson <strong>und</strong> Kind<br />

auf Video aufgezeichnet. Eine Ge fahr bei<br />

der Übertragung dieser Inter aktions ana -<br />

ly sen in Praxiskontexten Frü her <strong>Hilfen</strong><br />

liegt u.E. darin, den Aus schnitt einer<br />

dreiminütigen Videografie als Totale an -<br />

zunehmen. In der gemeinsamen Refle -<br />

xion dieser Sequenz von – ganz überwiegend<br />

– Mutter <strong>und</strong> Ex pertIn wird die<br />

Komplexität des Fami lien- <strong>und</strong> Bezie -<br />

hungs alltags auf Mo men te der Fein füh -<br />

lig keit reduziert. Der Blick der Kamera<br />

bewirkt die Einführung einer Außen per -<br />

spek tive in den privaten Raum, deren<br />

Wirksamkeit auch nach dem Ausschalten<br />

präsent bleiben wird. Aus dem metho -<br />

dischen Verfahren kann dadurch eine<br />

Kontrollinstanz werden, bei der die Fein -<br />

fühligkeit im Mittelpunkt der Mutter-<br />

Kind-Interaktion steht. Dadurch werden<br />

alltagsrelevante Not wendigkeiten <strong>und</strong><br />

Bedürfnisse der Mut ter in ihrer Bedeu tung<br />

hinten angestellt oder gar mit schlech tem<br />

Gewissen belegt. Darüber hinaus kann<br />

auch eine Verengung der fachlichen Mög -<br />

lichkeiten festgestellt werden. Hinter der<br />

reizvollen Plausibili tät der Videografie<br />

werden beispielsweise psychomotorische<br />

oder heilpädagogische Ansätze, die den<br />

Raum <strong>und</strong> die Bewe gung zwischen Be -<br />

zugs per son <strong>und</strong> Kind fokussieren (vgl.<br />

Bächer/Fröh lich 2010), vernachlässigt.<br />

Die Frage der Zugänge verschärft<br />

die Fokussierung auf Mütter<br />

Eine zentrale Fragestellung <strong>Frühe</strong>r<br />

<strong>Hilfen</strong> ist die Erreichbarkeit von »Risiko -<br />

familien«. Die Phantasie, alle gefährdeten<br />

Familien zu erreichen, erklärt sich u.a.<br />

durch die emotionsgeladenen Darstel -<br />

lungen in den öffentlichen Medien.<br />

Dabei wird der Schwerpunkt der <strong>Hilfen</strong><br />

von offenen Angeboten für Familien zu<br />

IzKK-Nachrichten 2010-1: <strong>Kinderschutz</strong> <strong>und</strong> <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong><br />

Zielgruppen, Zugänge <strong>und</strong> Wirksamkeit<br />

offensiven Zugriffs mög lich keiten der<br />

Fach kräfte verschoben (bspw. Haus be -<br />

such bei versäumten U-Unter suchun gen).<br />

Es soll hier nicht verschwiegen werden,<br />

dass die offenen Angebote der Familien -<br />

bildung <strong>und</strong> -beratung vor allem Fami -<br />

lien der Mittelschicht zugutegekommen<br />

sind (vgl. Heit köt ter/Thies sen 2009).<br />

Aber zu diskutieren ist nun, inwieweit<br />

bei der neuen Ausrichtung hin zu Geh-<br />

Strukturen die Selbst bestim mung von<br />

Familien gewahrt bleibt.<br />

Ebenso wirft die Frage der Zugänge<br />

genderkritische Aspekte auf: (Werdende)<br />

Mütter sind durch Hebammen, Geburts -<br />

kliniken, GynäkologInnen <strong>und</strong> Sozial -<br />

arbeiterInnen niedrigschwellig erreichbar.<br />

Dabei bleibt es den Müttern bzw. Eltern<br />

oder ExpertInnen überlassen, inwieweit<br />

Väter beteiligt werden. Unter dem Motto<br />

»<strong>Kinderschutz</strong> beginnt im Mut ter l eib«<br />

werden darüber hinaus in der Debatte<br />

gelegentlich die Rechtsgüter Kindeswohl<br />

<strong>und</strong> Selbstbestimmung von Frauen neu<br />

verhandelt. Wenn beispielsweise im Hin -<br />

blick auf rauchende <strong>und</strong> alkoholtrinkende<br />

Schwangere Restriktionen statt Unter -<br />

stützungs angebote diskutiert werden, ist<br />

dies von frauenpolitischer Brisanz.<br />

<strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong> – wohin?<br />

Die Relevanz <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong> ist angesichts<br />

zunehmender elterlicher Verun -<br />

sicherung <strong>und</strong> Belastungen unbestritten.<br />

In der konkreten Praxis zeigen sich allerdings<br />

genderkritische Schief lagen. Der<br />

Blick auf das Kindeswohl verführt zu<br />

einem Rückgriff auf ein traditionelles<br />

Mut terleitbild. Angezeigt ist daher eine<br />

fachpolitische Debatte darüber, welche<br />

Annahmen <strong>und</strong> Leitbilder in den <strong>Frühe</strong>n<br />

<strong>Hilfen</strong> wirksam sind. Wer bestimmt, wie<br />

das Verhältnis von Mutter <strong>und</strong> Kind sein<br />

soll? Wer entscheidet, wie Frauen Mut ter -<br />

schaft <strong>und</strong> Männer Vaterschaft konkret<br />

leben <strong>und</strong> definieren (sollen)? Was ver ste -<br />

hen Mütter <strong>und</strong> Väter selbst unter einer<br />

»guten« Elternschaft <strong>und</strong> »guten« kindlichen<br />

Entwicklung? Wo werden ihre Einschätzungen<br />

einbezogen?<br />

Der Blick der ExpertInnen ist allzu<br />

oft auf Fehlersuche ausgerichtet. Dabei<br />

werden Mütter u.U. alleine verantwortlich<br />

gemacht für das gelingende Auf -<br />

wach sen ihres Kindes. Die Gefahr von<br />

29

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!