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Migrationssensibler Kinderschutz und Frühe Hilfen - Nationales ...

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Die Diskussion zur Ausgestaltung von<br />

<strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong> wird also anders als beim<br />

intervenierenden <strong>Kinderschutz</strong> getragen<br />

durch den Gedanken primärer <strong>und</strong> se -<br />

kun därer Prävention. Es geht hier kurz<br />

gesagt darum, nicht erst zu reagieren,<br />

wenn Hilfebedarfe offensichtlich <strong>und</strong><br />

unabweisbar zutage liegen: Schwache<br />

Signale riskanter Entwicklungen sollen<br />

frühzeitig erfasst <strong>und</strong> im Zusammen wirken<br />

verschiedener Institutionen ge bün delt<br />

werden, um ungünstigen Ent wicklungen<br />

durch den Einsatz abgestimmter Hilfe -<br />

formen entgegenzuwirken.<br />

<strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong> sind eine Anforderung<br />

an die Ausgestaltung einer helfenden<br />

Infrastruktur. Modellprojekte in diesem<br />

Bereich haben stets eine Verbesserung<br />

dieser Infrastruktur im Auge (Familien -<br />

hebammen, Besuchsdienste, Beratungs -<br />

angebote etc.) <strong>und</strong> zielen auf interdisziplinäre<br />

Vernetzung <strong>und</strong> Kooperation.<br />

Schutzauftrag bei<br />

Kindeswohlgefährdung<br />

Der Begriff der Kindeswohl gefähr -<br />

dung setzt an einer ganz anderen Stelle<br />

an. Hier geht es nicht (mehr) um die<br />

Gewährleistung einer niedrigschwelligen<br />

Infrastruktur, sondern um die Wahr -<br />

nehmung individuumsbezogener Schutz -<br />

aufgaben (vgl. Schone 2002, 2008).<br />

Die rechtlichen Regelungen zur Kin -<br />

deswohlgefährdung sind im Wesent lichen<br />

durch die §§ 8a SGB VIII <strong>und</strong> 1666 BGB<br />

markiert. Die Bezugs gr<strong>und</strong> lage des (neu<br />

gefassten) § 1666 BGB veranlasst das<br />

Familiengericht zum Tätig werden, wenn<br />

»das körperliche, geistige oder seelische<br />

Wohl des Kindes oder sein Ver mögen<br />

gefährdet <strong>und</strong> die Eltern nicht gewillt<br />

oder nicht in der Lage sind, die Gefahr<br />

abzuwenden.« Die Recht spre chung versteht<br />

unter Gefähr dung »eine gegenwärtige<br />

in einem solchen Maße vorhandene<br />

Gefahr, dass sich bei der weiteren Ent -<br />

wicklung eine erheb liche Schädigung mit<br />

ziemlicher Sicher heit voraussehen lässt«<br />

(BGH FamRZ 1956, S. 350 = NJW 1956,<br />

S.1434). Als gefährdet im Sinne von § 1666<br />

Abs. 1 BGB ist das Kindes wohl also dann<br />

anzusehen, wenn sich bei Fort dauer einer<br />

identifizierbaren Gefah ren situation für<br />

das Kind eine erhebliche Schädigung seines<br />

körperlichen, geistigen oder see lischen<br />

Wohls mit hoher Wahr schein lichkeit<br />

annehmen <strong>und</strong> begründen lässt.<br />

Dies bedeutet: »Kindeswohl gefähr -<br />

dung« ist kein beobachtbarer Sach ver -<br />

halt, sondern ein rechtliches <strong>und</strong> nor -<br />

matives Konstrukt. Bei der Einschätzung<br />

einer »Gefährdung des Kindeswohls«<br />

(§§ 8a SGB VIII, 1666 BGB) geht es also<br />

um die fachlich geleitete Ein schät zung<br />

von der Art der möglichen Schä digun gen,<br />

der Erheblichkeit von Schädigun gen<br />

<strong>und</strong> der Wahrscheinlich keit des Scha dens -<br />

eintritts. Darüber hinaus geht es um die<br />

Ein schät zung der Fähigkeit bzw. Be reit -<br />

schaft der Eltern zur Gefah ren ab wehr.<br />

Die Fest stel lung einer Kindes wohl ge fähr -<br />

dung ist damit keine Tatsachen beschrei -<br />

bung, sondern eine zwangsläufig hypo -<br />

the tische (Risiko-)Einschätzung über die<br />

Wahr scheinlichkeit (Prognosen) des Auf -<br />

tretens von erheblichen Schä di gun gen<br />

für das Kind / den Jugend lichen auf der<br />

Gr<strong>und</strong> lage relevanter Infor ma tionen.<br />

Auch dem § 8a SGB VIII liegt diese<br />

spezifische Bedeutung zugr<strong>und</strong>e. Es geht<br />

hierbei nicht darum, ein wie auch immer<br />

geartetes Kindeswohl sicherzustellen,<br />

sondern Gefahren abzuwenden. Eine<br />

dem Alltagsverständnis folgende – auch<br />

von Fachkräften häufig vorgenommene –<br />

Gleichsetzung des Begriffs der Kindes -<br />

wohl gefährdung mit den Begriffen Kin -<br />

des misshandlung oder Kindes ver nach -<br />

lässigung ist nicht zulässig. Diese Gesell -<br />

schaft kennt viele Formen der Miss hand -<br />

lungen <strong>und</strong> Vernachlässigungen von<br />

Kindern (körperliche Härte in der Erzie -<br />

hung, mangelnde Versorgung etc.), die –<br />

obwohl unbedingt durch Jugendhilfe<br />

z.B. im Kontext <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong> oder im<br />

Rahmen von <strong>Hilfen</strong> zur Erziehung ab -<br />

zuwenden – unterhalb des Niveaus einer<br />

Kindeswohlgefährdung liegen, das zum<br />

Eingriff in elterliche Sorgerechte berechtigt<br />

<strong>und</strong> ggf. verpflichtet. Das heißt<br />

nicht jede Misshandlung oder Vernach -<br />

lässigung ist eine Kindeswohlgefährdung<br />

nach § 1666 BGB.<br />

IzKK-Nachrichten 2010-1: <strong>Kinderschutz</strong> <strong>und</strong> <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong><br />

Standpunkte<br />

Zur Notwendigkeit einer fachlichen<br />

<strong>und</strong> begrifflichen Differenzierung<br />

Beide hier dargestellten Konzepte sind<br />

unzweifelhaft Bestandteile eines funktionierenden<br />

<strong>Kinderschutz</strong>systems. Aller -<br />

dings sind unterhalb des ihnen gemeinsamen<br />

obersten Zieles »<strong>Kinderschutz</strong>«<br />

ganz unterschiedliche Ziele, Aufträge<br />

<strong>und</strong> Handlungsmuster durch diese Kon -<br />

zepte angesprochen. Übersicht 1 macht<br />

diese Unterschiede deutlich.<br />

<strong>Kinderschutz</strong> vollzieht sich somit an<br />

zwei unterschiedlichen Polen:<br />

Im Rahmen <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong> durch<br />

Achtsamkeit gegenüber Lebenslagen<br />

von Kindern <strong>und</strong> Eltern; frühes Er -<br />

kennen schwieriger Lebens um stän de;<br />

Ansprache von Eltern <strong>und</strong> Vermitt -<br />

lung <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong>; offensives Werben<br />

für die Inanspruchnahme von Hilfs -<br />

angeboten im Sinne sozialpädago -<br />

gischer Dienstleistungen<br />

Im Rahmen des Schutzauftrages bei<br />

Kindeswohlgefährdung durch Auf -<br />

greifen <strong>und</strong> Analysieren von gewich -<br />

tigen Anhaltspunkten für eine Kindes -<br />

wohlgefährdung; Durch führung von<br />

Risiko einschätzungen; klare Ver brei -<br />

terung des staatlichen Kontroll -<br />

auftrags im Rahmen des Wächter -<br />

amtes bei Kindes wohl gefährdung<br />

Zwar können Elemente <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong><br />

<strong>und</strong> des Schutzauftrags mitunter sehr<br />

nahe zusammenrücken (z.B. bei sehr<br />

kleinen Kindern, bei denen eine Mangel -<br />

versorgung sehr schnell in eine konkrete<br />

Gefährdung umschlagen kann), aber dies<br />

rechtfertigt in keiner Weise, beide Be -<br />

griffe <strong>und</strong> damit Handlungsaufträge zu<br />

vermischen. Im Gegenteil zwingt es im<br />

Interesse der Sache vielmehr dazu, sich<br />

der Unterschiedlichkeit der beiden Handlungsansätze<br />

in besonderer Weise be -<br />

wusst zu sein <strong>und</strong> diese auch immer wieder<br />

nach außen transparent zu machen.<br />

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