Migrationssensibler Kinderschutz und Frühe Hilfen - Nationales ...
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zu erken nen <strong>und</strong> nachfolgend eine Ge -<br />
fährdungs ein schätzung im Sinne einer<br />
konkreti sierenden Ge samt bewer tung der<br />
Situation eines Kindes im Hin blick auf<br />
das Vor liegen einer Kindes wohl gefähr dung<br />
vorzunehmen. Kommen die Fach kräfte<br />
zu dem Schluss, eine Kindes wohl ge fähr -<br />
dung liege vor, ist weiterhin die Fähig keit<br />
gefordert, erforderliche Hil fen be stim -<br />
men zu können <strong>und</strong> bei den El tern um<br />
eine Inanspruchnahme zu werben. We -<br />
sent lich gemildert werden diese im ersten<br />
Mo ment etwas erschreckend klingenden<br />
Anforderungen durch das Recht, aber<br />
auch die Pflicht, bei den genannten Ein -<br />
schätzungen eine hiermit erfahrene Fach -<br />
kraft einbeziehen zu können. Erfolgt die<br />
Finanzierung über das Ges<strong>und</strong> heits wesen<br />
gelten Länder bestim mungen, die sich<br />
von einander unter schei den (für eine Über -<br />
sicht siehe Noth hafft 2009). Häufig wird<br />
auch hier das Erkennen von ge wich tigen<br />
Anhalts punk ten für eine Kin des wohl -<br />
gefährdung verlangt, woraus sich dann<br />
aber unter schied liche Hand lungs pflich ten<br />
ergeben (z.B. in Bayern un ver züg liche<br />
Infor ma tion des Jugend amts nach § 14<br />
Abs. 6 Bay. GDVG).<br />
Was im Bereich <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong> als<br />
»gewichtiger Anhaltspunkt« für eine<br />
Kindeswohlgefährdung anzusehen ist,<br />
wur de bislang weder vollständig noch<br />
ab schlie ßend festgelegt. Eine solche Liste<br />
kann vorhersehbar auch nicht erstellt<br />
werden, da der Begriff des gewichtigen<br />
Anhaltspunktes nicht nur auf einzelne,<br />
potenziell relativ vollständig in eine Liste<br />
zu fassende Wahrnehmungen zielt, sondern<br />
auch mehrere Wahrnehmungen zusammen<br />
oder einzelne Wahrneh mun gen vor<br />
dem Hintergr<strong>und</strong> der allgemeinen Kennt -<br />
nis des Falls (z.B. der früheren Vernach -<br />
lässigung eines Geschwister kin des) einen<br />
gewichtigen Anhaltspunkt konsti tu ieren<br />
können. Die Praxis behilft sich daher<br />
mit drei Maßnahmen, um Fach kräfte für<br />
die Beurteilung zu qualifizieren:<br />
54<br />
Schnittstellen <strong>und</strong> Übergänge<br />
Sicherung eines richtigen<br />
Begriffsverständnisses:<br />
Gewichtige Anhaltspunkte bezeichnen<br />
konkrete <strong>und</strong> daher auch benennbare<br />
Hinweise auf eine bereits vorliegende<br />
oder erkennbar drohende Vernach läs si -<br />
gung, Misshandlung oder einen se xu -<br />
ellen Missbrauch. Allgemeine soziale<br />
Belastungen oder moderate Schwie -<br />
rigkeiten im Umgang mit dem Kind<br />
zeigen einen Unterstützungs- oder<br />
Hilfebedarf an, sind für einen gewichtigen<br />
Anhaltspunkt aber nicht konkret<br />
<strong>und</strong> auch nicht gewichtig genug.<br />
Veranschaulichung durch Beispiele:<br />
Es liegen mehrere, allerdings nicht<br />
spe ziell für das Feld <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong><br />
for mulierte Listen mit Beispielen für<br />
gewichtige Anhaltspunkte vor (z.B.<br />
ISA 2006, Deutscher Verein 2006).<br />
Anführen ließen sich etwa ein Häma -<br />
tom im Gesicht eines drei Monate<br />
alten Kindes, das dieses sich noch<br />
kaum selbst zugefügt haben kann <strong>und</strong><br />
das von den Eltern nicht plausibel<br />
erklärt werden kann, eine hauptsächlich<br />
betreuende Mutter, die beim Haus -<br />
besuch verwirrt <strong>und</strong> agitiert wirkt,<br />
oder ein deutlich vermüllter Haushalt<br />
mit verschluckbaren bzw. giftigen<br />
Gegenständen auf dem Boden (z.B.<br />
Zigarettenkippen) <strong>und</strong> einem einjährigen<br />
Kind.<br />
Vorgabe eines Rasters mit<br />
Wahrnehmungsbereichen:<br />
Um Wahrnehmungen geordnet<br />
durch gehen zu können, werden teilweise<br />
Raster vorgeschlagen (z.B. Er -<br />
schei nungsbild des Kindes, Ver halten<br />
des Kindes, Verhalten der Bezugs -<br />
per so nen, Wohnung <strong>und</strong> Informa tio -<br />
nen durch Dritte).<br />
Auch bei der Beurteilung des Vor lie -<br />
gens einer Kindeswohlgefährdung gibt es<br />
<strong>und</strong> kann es kein diagnostisches Schema<br />
geben, das Fachkräften eine ein fache <strong>und</strong><br />
sichere Beurteilung garantiert. Dies ergibt<br />
sich aus dem Rechts begriff der Kindes -<br />
wohl gefährdung, der nach einer weg wei -<br />
enden Entscheidung des B<strong>und</strong>es ge richts -<br />
hofs eine gegenwär tige <strong>und</strong> so schwer -<br />
wiegende Gefahr be zeich net, »dass sich<br />
bei der weiteren Entwick lung eine er -<br />
hebliche Schädigung (des Kin des) mit<br />
ziemlicher Sicherheit vor aus sehen lässt«<br />
(BGH FamRZ 1956, S. 350 = NJW 1956<br />
IzKK-Nachrichten 2010-1: <strong>Kinderschutz</strong> <strong>und</strong> <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong><br />
S. 1434). Wie un schwer zu erkennen ist,<br />
handelt es sich damit um einen Begriff,<br />
der eine komp lizierte Schluss folgerung<br />
auf der Gr<strong>und</strong> lage einer Gesamt bewer tung<br />
vielfältiger denkbarer, aber konkret zu<br />
belegender Gefahren situationen verlangt.<br />
Was sich jedoch als Hilfestellung für Fach -<br />
kräfte zu mindest angeben lässt, sind die<br />
Gr<strong>und</strong> fragen, die sich bei der Be wer tung<br />
eines Falls als vorliegende oder nicht vorliegende<br />
Kindeswohl gefähr dung stellen:<br />
Was lässt sich belegbar darüber sagen,<br />
was die Eltern im Verhältnis zu den Bedürfnissen<br />
des Kindes Schädliches tun?<br />
Was lässt sich belegbar darüber sagen,<br />
was die Eltern im Verhältnis zu den<br />
Bedürfnissen des Kindes Notwendiges<br />
unterlassen?<br />
Wenn ein schädliches Tun oder Un -<br />
ter lassen nicht konkret benennbar ist:<br />
Aufgr<strong>und</strong> welcher Tatsachen muss<br />
davon ausgegangen werden, dass die<br />
Eltern sich so verhalten werden?<br />
Welche Schädigungen sind beim Kind<br />
bereits entstanden bzw. welche sind<br />
mit ziemlicher Sicherheit erwartbar?<br />
Erfüllt die Situation in der Gesamt -<br />
schau die Anforderungen an eine<br />
Kindeswohlgefährdung?<br />
Wichtig ist: Das Vorliegen einer Kin -<br />
deswohlgefährdung führt in keiner Weise<br />
automatisch zur Inobhutnahme oder<br />
Fremdunterbringung eines Kindes. Ob<br />
solche Maßnahmen notwendig werden,<br />
hängt nach der Rechtslage wesentlich<br />
davon ab, ob sich die Eltern bereit <strong>und</strong><br />
in der Lage zeigen, <strong>Hilfen</strong> anzunehmen<br />
<strong>und</strong> sich zu verändern. Im Fall einer vorliegenden<br />
Kindeswohl gefähr dung bedeutet<br />
eine Verpflichtung zum Hinwirken auf<br />
die Inanspruchnahme geeigneter <strong>Hilfen</strong><br />
nicht, dass die Fach kräfte <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong><br />
ein genaues Kon zept für solche <strong>Hilfen</strong><br />
entwickeln müssten. In der Regel ist<br />
davon auszugehen, dass zur Abwehr von<br />
Gefahren <strong>Hilfen</strong> zur Erziehung erfor -<br />
derlich sind, die nur vom Jugendamt<br />
bewilligt werden können. Es ist daher<br />
ausreichend, die Eltern für eine Kontakt -<br />
auf nahme zum Jugend amt zu gewinnen<br />
<strong>und</strong> hierbei zu begleiten. Schließlich<br />
soll ten sich Fachkräfte <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong> be -<br />
wusst sein, dass vor allem in Netz wer ken<br />
manch mal mit einem alltagssprachlichen<br />
Begriff von Gefährdung operiert wird,<br />
der in der Regel sehr viel weiter gefasst<br />
ist als der entsprechende Rechtsbegriff.