Migrationssensibler Kinderschutz und Frühe Hilfen - Nationales ...
Migrationssensibler Kinderschutz und Frühe Hilfen - Nationales ...
Migrationssensibler Kinderschutz und Frühe Hilfen - Nationales ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Reinhard Wiesner<br />
Finanzierungsmöglichkeiten <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong>: Zwischen früher Förderung<br />
von Eltern <strong>und</strong> Kindern <strong>und</strong> <strong>Hilfen</strong> zur Erziehung<br />
Die komplexe Ausgangslage<br />
Was verstehen wir unter<br />
»<strong>Frühe</strong>n <strong>Hilfen</strong>«?<br />
In der (mitunter aufgeregt geführten)<br />
Debatte über die Verbesserung des Kin -<br />
der schutzes in Deutschland richtet sich<br />
seit längerer Zeit die Aufmerk samkeit<br />
nicht nur auf die Frage der weiteren Qualifi<br />
zie rung des fachlichen Handelns im<br />
Sta dium der Intervention (also den Um -<br />
gang mit der Information über gewich -<br />
tige Anhaltspunkte für eine Kindeswohl -<br />
gefährdung <strong>und</strong> die sich daran anschließende<br />
Wahrnehmung des Schutzauftrags<br />
nach § 8a SGB VIII), sondern auch<br />
auf die Frage, wie Prozesse <strong>und</strong> Verhaltensweisen,<br />
die sich nachteilig auf die Ent -<br />
wicklung von Kindern (<strong>und</strong> Jugend -<br />
lichen) auswirken (können), frühzeitig<br />
erkannt <strong>und</strong> der Eintritt einer Kindes -<br />
wohlgefährdung verhindert werden<br />
kann. Dafür stehen der Begriff »<strong>Frühe</strong><br />
<strong>Hilfen</strong>« <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Stra tegien, einen niederschwelligen Zu -<br />
gang zu Problemfamilien zu erreichen.<br />
Die Ausgestaltung dieses sogenannten<br />
»präventiven« Bereichs wirft (verfassungs-)<br />
rechtliche, gesellschaftspolitische, rechtssystematische<br />
<strong>und</strong> methodische Fragen<br />
auf. So befasst sich z.B. der 13. Kinder<strong>und</strong><br />
Jugendbericht mit der Frage, ob<br />
»<strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong>« – zunächst ein beliebig<br />
füllbarer Arbeitsbegriff – eher vom Ge -<br />
dan ken einer möglichst frühen Förde rung<br />
bzw. einem Recht auf Befä higung von<br />
Eltern <strong>und</strong> Kindern getragen sein sollten<br />
oder ob sie spezifischer an der präven -<br />
tiven Verhinderung von möglichen Kin -<br />
des wohlgefährdungen orientiert sein sollten<br />
(vgl. Deutscher B<strong>und</strong>es tag 2009,<br />
S. 50 ff). Dabei geht es um die Perspek -<br />
tive, den Blick auf Eltern: als Personen,<br />
die in einer neuen Lebens situation an -<br />
kommen oder angekommen sind – oder<br />
als »potenzielle Kindes wohl gefähr der«.<br />
Dann geht es um das Ver ständnis von<br />
Prävention: Prävention als unspe zifische<br />
Unterstützungs leistungen zur Verbes se -<br />
rung der Lebenssituation <strong>und</strong> der Hand -<br />
lungskompetenzen oder als gezielte<br />
32<br />
Strukturen <strong>und</strong> Finanzierung<br />
Maßnahme, um einer Kindes wohl gefähr -<br />
dung vorzubeugen. Präven tion kann<br />
dabei sehr schnell zu vorverlagerter staatlicher<br />
Intervention mutieren <strong>und</strong> damit<br />
die gr<strong>und</strong>gesetzlich geschützten Sphären<br />
von Privatheit <strong>und</strong> Selbst bestimmung<br />
verletzen (vgl. Lücking-Michel 2008,<br />
S. 200–205; Jestaedt 2010, S. 32–36).<br />
Auch wenn dieses brisante Thema<br />
an dieser Stelle nicht im erforderlichen<br />
Umfang abgehandelt werden kann, so<br />
hängt die Frage der rechtlichen Aus ge -<br />
stal tung sogenannter <strong>Frühe</strong>r <strong>Hilfen</strong> ganz<br />
zentral vom jeweiligen gesellschafts po -<br />
litischen Vorverständnis ab. Einer prä -<br />
ventiven Verhinderung möglicher Kin des -<br />
wohlgefährdung sind de constitutione<br />
lata1 Grenzen gesetzt. Darüber hinaus<br />
erscheint eine Sichtweise, die junge Eltern<br />
von vornherein als potenzielle Gefährder<br />
des Wohls ihrer Kinder be trachtet, ge -<br />
sell schaftspolitisch bedenklich <strong>und</strong> überdies<br />
wenig geeignet, das notwendige Ver -<br />
trau en zu erzeugen, das Voraus set zung<br />
für jede Hilfebeziehung <strong>und</strong> damit auch<br />
für einen wirksamen <strong>Kinderschutz</strong> ist.<br />
Dem entsprechend kritisch sind alle<br />
Versuche eines »Risiko-Screenings« zu<br />
betrachten.<br />
Welchem System sind <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong><br />
zuzuordnen?<br />
Der Titel dieses Beitrags könnte da -<br />
hin gehend missverstanden werden, dass<br />
<strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong> von vornherein dem System<br />
der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe zuzuordnen<br />
seien. Versteht man <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong> als<br />
primär- <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ärpräventives Leis -<br />
tungs angebot an werdende Eltern <strong>und</strong><br />
junge Familien, das sich auf die Deckung<br />
von Hilfebedarfen bezieht, die sich aus<br />
der Erweiterung des Familien systems<br />
<strong>und</strong> der Förderung der Ent wicklung des<br />
Kindes ergeben (vgl. Deutsches Institut<br />
für Jugendhilfe <strong>und</strong> Familienrecht 2010;<br />
Arbeitsgemeinschaft für Kinder- <strong>und</strong><br />
Jugendhilfe 2010; <strong>Nationales</strong> Zentrum<br />
2010), so liegt auf der Hand, dass diese<br />
Aufgabe nicht alleine <strong>und</strong> ggf. nicht<br />
primär dem System der Kinder- <strong>und</strong><br />
Jugend hilfe aufgeladen werden kann.<br />
IzKK-Nachrichten 2010-1: <strong>Kinderschutz</strong> <strong>und</strong> <strong>Frühe</strong> <strong>Hilfen</strong><br />
Es bedarf daher zunächst einer Identif i -<br />
zie rung der verschiedenen Be darfe <strong>und</strong><br />
ihrer Zuordnung zu den jewei ligen staatlichen<br />
Leistungssystemen entsprechend<br />
deren Systemfunktion.<br />
Dabei hat sich schon bisher gezeigt,<br />
dass das ins Visier geratende Ges<strong>und</strong> heitssystem<br />
seine Aufgabe nicht als präven -<br />
tiven <strong>Kinderschutz</strong>, sondern als Ge s<strong>und</strong> -<br />
heitsförderung bzw. Krankheits vor sorge<br />
begreift. Zudem geht es – rechts sys -<br />
tematisch gesprochen – nicht (nur) um<br />
»Finan zierungs möglichkeiten«, sondern<br />
um die Vorfrage, welchem System welche<br />
Aufgabe zukommt, zu deren Erfül lung<br />
dann ggf. Leistungen gewährt werden<br />
müssen. Die Frage der Finan zie rung ist<br />
dann keine davon zu trennende Frage,<br />
sondern die automatische Folge der Auf -<br />
gabenzuweisung. Konkrete Bedarfe ori -<br />
entieren sich aber nicht an den abstrak ten<br />
jeweiligen System zuschnit ten, sondern<br />
liegen nicht selten quer dazu. Des halb<br />
wird es – neben der Verankerung eines<br />
bedarfsgerechten Leistungsangebots –<br />
nicht nur praktikabler Verfahrens vor schrif -<br />
ten bedürfen, mit deren Hilfe Leis tungen<br />
verschiedener Systeme bedarfs orientiert<br />
gebündelt werden bzw. ggf. »aus einer<br />
Hand« erbracht werden. Dafür kennen<br />
wir das Modell der »Kom plexleistung«.<br />
Noch schwieriger wird es sein, eine praktikable<br />
Regelung über die Kostenteilung<br />
bzw. Kofinanzierung zu finden. Dies ist<br />
bislang auch bei den Komplexleistungen<br />
nach dem SGB IX noch nicht gelungen.<br />
Angesichts der Unterfinanzierung aller<br />
Sozial leistungs systeme – speziell der hier<br />
relevanten Sys teme des Ges<strong>und</strong> heits we -<br />
sens <strong>und</strong> der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe –<br />
sind hier kei ne kurzfristigen Lösungen<br />
zu erwarten.<br />
1 Nach geltendem Verfassungsrecht