Beiträge zum 46. IPV-Kongreß in Chicago, Juli 2009 - Frommann ...

14 Warren S. Poland
verbessert. Einer »radikalen« Beschäftigung mit der Gegenwart fiele die
Untersuchung der Vergangenheit zum Opfer, denn diese würde als Beeinträchtigung
unseres Feldes betrachtet. Die Liste läßt sich fortsetzen.
Eine »splendid isolation« kann die Aufmerksamkeit schärfen und profundere
Explorationen und Erkenntnisse ermöglichen. Die Insularität
hingegen, die Unfähigkeit zur Rückkoppelung an den allgemeinen Wissensstand,
führt zu einer keineswegs splendiden, sondern hermetischen
Isolation, die aus Schulen radikale Schulen und aus radikalen Schulen
Sekten macht. Unter diesen Umständen werden genuine Neugier und
Wissensdrang durch Selbstzufriedenheit erstickt. Wenn die geistige Offenheit
einer narzißtischen Rigidität weicht, ähneln Analytiker den französischen
Revolutionären, die ihre Gefängnisse bekanntlich aus den
Steinen der Bastille errichtet haben sollen.
Wohlwissend, wie schwierig aufrichtige Selbstkritik ist, schrieb Freud
in einem Brief an Ferenczi: »Selbstkritik ist keine angenehme Gabe,
aber nächst meinem Mut das Beste an mir« (1992g [1908–33], S. 319).
Offen für andere Meinungen zu bleiben ist nicht nur kein Verrat an der
eigenen Auffassung, sondern trägt zu deren Festigung bei.
Probleme zwischen Schulen
Trotzdem ist es natürlich und nützlich, daß wir uns zusammenschließen
und Schulen bilden. Die Einsamkeit der kreativen Arbeit wirkt verunsichernd,
so daß wir auf die Reaktionen anderer besonders verletzlich
reagieren; deshalb suchen wir die Unterstützung gleichgesinnter Kollegen.
Wir hoffen auf Hilfe bei der Entwicklung unserer Perspektiven,
und dies macht uns anfällig für die Kritik von Extremisten einerseits und
für die verführerische Inspirationskraft charismatischer Gestalten andererseits.
Unsere Gesprächspartner müssen vertrauenswürdig, respektvoll
und aufrichtig sein, damit unsere Fähigkeit zur Selbstkritik wachsen
kann; in entsprechender Weise sind wir zu Respekt verpflichtet, wenn
wir Dinge, von denen wir noch nie gehört haben, hinterfragen.
Freilich vertreten auch Schulen, die nicht radikal sind, unterschiedliche
und bisweilen gegensätzliche Positionen. Solche Widersprüche müssen
weder verleugnet noch um jeden Preis aufgelöst werden. Statt zu akzeptieren,
daß konträre Blickwinkel nebeneinander existieren können, ist
man versucht, sich in die Sicherheit einer privaten Orthodoxie zurück-