Beiträge zum 46. IPV-Kongreß in Chicago, Juli 2009 - Frommann ...
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Probleme des kollegialen Lernens <strong>in</strong> der Psychoanalyse: Narzißmus und Neugier 21<br />
Zweitens hat der Narzißmus se<strong>in</strong>en eigenen Entwicklungsgang, e<strong>in</strong><br />
Kont<strong>in</strong>uum, das von e<strong>in</strong>em primitiven und unreifen Stadium h<strong>in</strong> zur Reife<br />
reicht. Man sagt <strong>zum</strong> Beispiel, daß e<strong>in</strong>e Mutter aufgrund ihres projizierten<br />
Narzißmus stärkeren Schmerz empf<strong>in</strong>det, wenn ihr K<strong>in</strong>d gefährdet<br />
ist, als wenn ihr selbst e<strong>in</strong> Schmerz zugefügt wird. Diese Formulierung<br />
ist irreführend. Zutreffender wäre es zu sagen, daß die Liebesfähigkeit<br />
der Mutter ihr eigenes Selbst transzendiert. Der reife Narzißmus nutzt<br />
dem Selbst, <strong>in</strong>dem er den Anderen wertschätzt, sich um andere Menschen<br />
sorgt und Ideale hütet, die über das Selbst h<strong>in</strong>ausgehen. Aus der<br />
Grundsicherheit erwächst e<strong>in</strong> Selbstgefühl, das es uns ermöglicht, über<br />
unsere beschränkten Eigen<strong>in</strong>teressen h<strong>in</strong>aus zu explorieren. Wie Lao-Tse<br />
sagte: Geliebt zu werden macht uns stark, zu lieben macht uns mutig.<br />
Auch die Entwicklung der Neugier folgt e<strong>in</strong>em komplexen Kont<strong>in</strong>uum.<br />
Beobachten läßt es sich am Säugl<strong>in</strong>g, der die Brust se<strong>in</strong>er Mutter<br />
oder die eigene Hand erforscht. Solange er nicht durch Hilflosigkeit<br />
überwältigt und desorganisiert wird, wendet er se<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit<br />
der Außenwelt zu, um sie kennenzulernen. Aber das K<strong>in</strong>d möchte die<br />
Welt nicht nur kennenlernen, sondern sie auch beherrschen. Mit der<br />
Neugier und dem durch sie geweckten Gewahrwerden der Verschiedenheit<br />
von Selbst und Anderem taucht sowohl die Frage: »Wer b<strong>in</strong> ich?«<br />
auf als auch die Frage: »Wie ist es, jemand anderer zu se<strong>in</strong>?«<br />
Ebenso wie der Narzißmus wurde auch die Neugier von allen Schulen<br />
erforscht, angefangen mit Freuds Untersuchung der sexuellen Neugier<br />
über die Gedanken se<strong>in</strong>er Nachfolger über die Bemächtigungstriebe bis<br />
h<strong>in</strong> zu den aktuellen Beschreibungen e<strong>in</strong>es Wißtriebs. Unseres Vorbehalts<br />
gegen simplifizierende Dichotomisierungen e<strong>in</strong>gedenk, sollten wir<br />
nicht allzu säuberlich zwischen Narzißmus und Neugier unterscheiden.<br />
Für das K<strong>in</strong>d an der Brust sowie für den Analysanden auf der Couch bilden<br />
das Suchen und die Befriedigung, der Trieb und die entscheidende<br />
Erfahrung e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit. Die Sorge um das Selbst und die Wahrnehmung<br />
des Anderen bilden im Prozeß der Bedeutungserzeugung e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit.<br />
Die Befriedigung des Eigen<strong>in</strong>teresses und die nach außen gerichtete Aufmerksamkeit,<br />
die Neugier auf die Welt jenseits des eigenen Selbst, lassen<br />
sich nie vollständig vone<strong>in</strong>ander trennen.<br />
Wie hängt all dies mit unseren Problemen der Kollegialität zusammen?<br />
Und wie mit unserem Wunsch, uns untere<strong>in</strong>ander auszutauschen<br />
und vone<strong>in</strong>ander zu lernen, um die Psychoanalyse weiterzuentwickeln?