Herwig Wolfram - Die Germanen.pdf - DIR
Herwig Wolfram - Die Germanen.pdf - DIR
Herwig Wolfram - Die Germanen.pdf - DIR
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
was bloß in den seltensten Fällen mit der Wirklichkeit übereinstimmt.<br />
<strong>Die</strong> Geschichtswissenschaft, die in erster Linie auf<br />
schriftliche Quellen angewiesen ist, bedarf daher der Korrektur<br />
durch die Ergebnisse der archäologischen und sprachwissenschaftlichen<br />
Forschungen. Schon in der als germanisch geltenden<br />
Jastorf-Kultur vor Christi Geburt ernährte sich die<br />
Bevölkerung sowohl von Viehwirtschaft als auch von Pflanzenanbau.<br />
Ganz große Bedeutung kam der Gerste zu - es gibt<br />
Fundplätze, wo diese Getreideart mehr als 90 Prozent des<br />
Befundes ausmacht -, aber auch Hafer, Rispenhirse und in<br />
geringerem Maße Weizen und Roggen sind nachzuweisen.<br />
Bevorzugt wurden die sandigen Böden, weil sie mit den primitiven<br />
Holzpflügen leichter zu bearbeiten waren. Der Boden<br />
konservierte Sicheln, Sensen und Zugjoche für die Rinder.<br />
<strong>Die</strong> archäologischen Einsichten werden durch sprachgeschichtliche<br />
Befunde ergänzt und bestätigt, mag deren wichtigste<br />
Quelle, die gotische Bibelübersetzung der Mitte des<br />
4. Jahrhunderts, auch aus viel späterer Zeit und aus einem<br />
Raum stammen, in dem germanische Völker bereits jahrhundertelang<br />
in engem Kontakt mit der antiken Mittelmeerkultur<br />
gestanden waren. <strong>Die</strong> biblische Geschichte entwirft in ihren<br />
Gleichnissen ein höchst anschauliches Bild vom Leben einer<br />
Bevölkerung, die sich von Ackerbau, Viehzucht und Fischfang<br />
ernährt. Um aber die Begrifflichkeit dieses Lebens ins Gotische<br />
zu übertragen, benötigten Bischof Wulfila und seine Helfer<br />
kaum fremde Anleihen. Fast alle bibelgotischen Wörter für<br />
Früchte, Getreidearten, Unkraut, für den Mist, den Pflug, für<br />
die sonstigen Werkzeuge und bäuerlichen Arbeiten beruhen<br />
auf rein gotischer Grundlage.<br />
Barbaren, so wußten es die zivilisierten Ethnographen, essen<br />
alle dieselbe eintönige Mahlzeit. Fleisch wird gliedweise<br />
gebraten oder gar roh verzehrt, oftmals herrscht Hunger. <strong>Die</strong><br />
barbarische Wirtschaft war tatsächlich eine Mangelwirtschaft.<br />
Sehr schnell lernten die grenznahen <strong>Germanen</strong>, ihr Nahrungsmitteldefizit<br />
durch Zukaufe aus Gallien oder den Donauprovinzen<br />
zu ergänzen. Überschüsse aber gab es entweder nicht,<br />
oder es war damit nichts anzufangen, weil kaum Vorräte an-<br />
19