Herwig Wolfram - Die Germanen.pdf - DIR
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Herrschaft und Sippe, Gefolgschaft und Heer<br />
Mit keinem Begriffspaar beschäftigte sich die wissenschaftliche<br />
Diskussion intensiver und kontroverser, mit keinem trieben<br />
ideologisches Engagement und blutiger Dilettantismus<br />
größeres Schindluder als mit „Herrschaft und Gefolgschaft“.<br />
Ähnliches gilt von der Sippe, weniger vom Stammesheer.<br />
Nach Ausweis unserer Quellen von Caesar bis zur wulfilanischen<br />
Bibelübersetzung, in der eine große Zahl von politisch<br />
relevanten Begriffen in der Volkssprache überliefert wird,<br />
aber auch in den frühmittelalterlichen Texten des Kontinents<br />
wie Skandinaviens und der Britischen Inseln ist von Herrschaft<br />
und Gefolgschaft die Rede, mögen auch die dabei verwendeten<br />
Begriffe heute erklärungsbedürftig sein.<br />
Ob nun ein Königtum oder eine oligarchische Verfassung<br />
herrscht, in jedem Fall gibt es eine Oberschicht, die Herrschaft<br />
ausübt, das heißt, sie hat „legitimen Anspruch auf<br />
fremdes Tun“ (Heinrich Mitteis). <strong>Die</strong>ser Herrschaftsanspruch<br />
beruht auf größerem Besitz und erstreckt sich sowohl über<br />
Unfreie wie Freie geringerer ökonomischer Stärke. Herrschaft<br />
ist zunächst einmal Hausherrschaft, das heißt Befehlsgewalt<br />
über - modern gesprochen - die eigene Familie und abhängige<br />
Menschen. <strong>Die</strong> Herrschaft stützt sich auf eine Gruppe vom<br />
täglichen Broterwerb freigestellter Personen, die als trainierte<br />
Krieger jederzeit nach innen und außen als „Erfüllungsstab“<br />
einsetzbar sind. Als Arminius seinen Schwiegervater Segestes<br />
belagerte, um seine Frau Thusnelda zu befreien, kämpften<br />
zwei Gefolgschaften beachtlicher Größe miteinander um das<br />
offenkundig stark befestigte Haus des Segestes. Als Arminius<br />
den Markomannenkönig angriff, führte er ein polyethnisches<br />
Gefolgschaftsheer gegen die ähnlich strukturierten Kriegerscharen<br />
Marbods, denen sich auch der Arminius-Onkel und<br />
Cheruskerfürst Inguomer mit seiner Gefolgschaft angeschlossen<br />
hatte.<br />
Wenn Caesar oder Tacitus systematisch über die germanische<br />
Gefolgschaft sprechen, stellen ihre Berichte keine bloßen<br />
Abstraktionen dar, sondern haben ihren Sitz im Leben: im<br />
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