Herwig Wolfram - Die Germanen.pdf - DIR
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und räumlich festgelegte Historizität. Dagegen beschreiben Caesar,<br />
Plinius der Ältere, Tacitus und andere antike Autoren die<br />
Religion der ihnen zeitgenössischen oder zumindest zeitnahen<br />
<strong>Germanen</strong>. Selbstverständlich bestimmt ihr Interesse ihre Fähigkeit<br />
zur Beobachtung und Interpretation: Caesar wollte die<br />
<strong>Germanen</strong> als möglichst primitive und wenig entwicklungsfähige<br />
Wilde darstellen, weshalb er ihnen nur eine animistische<br />
Naturreligion zubilligte, die außer Sonne, Mond und dem<br />
Feuer keine Götter und organisierte Gottesverehrung kannte.<br />
Dafür stellt Tacitus seiner interpretatio Romana entsprechende<br />
Göttergleichungen auf, die mit geringfügigen Varianten - Jupiter<br />
statt Herkules - in den Namen von vier der sieben Wochentage<br />
bis heute, wenn auch selten bewußte Aktualität<br />
besitzen: Mardi-Tuesday, Mercredi-Wednesday, Jeudi-Thursday,<br />
Vendredi-Friday. <strong>Die</strong>se Namenpaare bestätigen die<br />
Gleichsetzung von Mars mit dem ursprünglichen obersten<br />
und späteren Kriegsgott Tiu, von dem Seelenführer Merkur<br />
mit Wodan, der Tiu von seinem ersten Platz verdrängt hat,<br />
von Jupiter mit Donar (Thor) und von Venus mit Freya.<br />
Nicht unmöglich, daß letztere hinter dem Isis-Kult steht, den<br />
Tacitus (Germ. 9,1) den Sueben zuschreibt, was ihre Bedeutung<br />
für die ebenfalls ursprünglich suebischen Langobarden<br />
erklären würde.<br />
Noch im altsächsischen Taufgelöbnis wird den drei Hauptgöttern<br />
Thuner, Woden und - anstelle von Tiu - Saxnot abgeschworen;<br />
bei den Svear zu Uppsala nimmt die dritte Stelle -<br />
fast möchte man sagen erwartungsgemäß - Freyr ein. Eine<br />
Göttin der Erde namens Nerthus kennt Tacitus bezeichnenderweise<br />
bei den Ingaevonen, in deren skandinavischem Umfeld<br />
der männliche Gott Njörd als Vater der Geschwister<br />
Freyr und Freya eine Rolle spielt. Ob nun Nerthus mit Njörd<br />
eine ähnliche Verbindung eingegangen ist oder nicht, nach<br />
allem, was Tacitus über sie berichtet, ist sie dem vanischen<br />
Götterkreis zuzuordnen. Ebenfalls dazu gehören die Alcis, die<br />
als göttliche Helfer und Brüder von den Oststämmen verehrt<br />
werden und die Tacitus mit den antiken Dioskuren Castor<br />
und Pollux gleichsetzt (43,3).<br />
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