Herwig Wolfram - Die Germanen.pdf - DIR
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einem Stiergott abstammende salische Merowinger Chlodwig<br />
nach Ansicht eines gallischen Bischofs auf die Göttlichkeit,<br />
nicht aber auf die hervorgehobene adelige Qualität seiner<br />
Vorfahren verzichten.<br />
Von Caesar bis ins Hochmittelalter wird aktuell über germanische<br />
Götter berichtet, weshalb man zwischen den Nachrichten<br />
der antiken und völkerwanderungszeitlichen Autoren<br />
und denen der skandinavischen Systematiker unterscheiden<br />
muß. Odin, Frigg und Baldr, Freyr und Freya, Thor und Loki<br />
und wie sie alle heißen, die nach dem großen Vanenkrieg<br />
mehr oder weniger friedlich vereint in Walhalla wohnen oder<br />
zur Festspielzeit sich unter Wagner-Klängen in Bayreuth tummeln,<br />
sind zwar für das Verständnis des kontinentalen germanischen<br />
Heidentums bloß von beschränktem Wert. Aber<br />
die Vorstellung von der Zweiteilung des germanischen Pantheons,<br />
die der skandinavische Norden als Kampf zwischen<br />
Äsen und Vanen mit anschließender Versöhnung überliefert,<br />
ist wohl schon auf dem Kontinent gültig gewesen.<br />
Demnach gab es die älteren, seßhaften Vanen, die Fruchtbarkeit<br />
spendeten, die Geschwisterehe und deutlich mutterrechtliche<br />
Lebensformen kannten, aber auch helfende Zwillingsgötter<br />
zu den Ihren zählten, und die jüngeren, kriegerischen<br />
Äsen, die vanische Gebräuche ablehnten und an deren<br />
Spitze der männerrechtlich orientierte Gefolgschaftsgott Odin-<br />
Wodan stand. Allerdings war Wodan ein verhältnismäßig<br />
junger Gott, der erst spät als Odin den Norden eroberte. <strong>Die</strong><br />
Amaler verehrten seinen Vorgänger Gaut und wurden erst im<br />
Laufe ihrer kontinentalen Geschichte zu Äsen. <strong>Die</strong> schwedischen<br />
Ynglingar verstanden sich als Nachkommen des Vanengottes<br />
Yngvi-Freyr. Bevor die Langobarden Wodans Anhänger<br />
wurden, hießen sie Vinniler und waren der vanischen Göttin<br />
Frea-Freya, der Schwester von Yngvi-Freyr, zugeordnet.<br />
Alle diese Geschichten wurden spät aufgezeichnet; man erkennt<br />
an ihnen eine relative Chronologie, eine Abfolge von<br />
Phänomenen und Prozessen; sie liefern aber keine Nachrichten<br />
über punktuelle Ereignisse und ihre Protagonisten. Es gibt<br />
hier nur ein Einst, Vorher und Nachher, aber keine datierbare<br />
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